Schlaflos

Bevor ihr beginnt, das hier zu lesen, könnt ihr euch ruhig noch einen Kaffee machen. Es wird nämlich ein wenig länger dauern.

Ich habe eine schlaflose Nacht, mit unzähligen Erkenntnissen hinter mir. Dieses Wochenende ist etwas passiert, was bei mir einige Synapsen im Gehirn verbunden hat. Ich habe in den letzten Geschichten darüber geschrieben dass ich Dinge persönlich nehme, dass mir meine Familie nur bedingt das Gefühl gibt, dass sie stolz auch mich ist, wie ich mir das Leben selbst schwer machen, wenn ich etwas nicht will, aber trotzdem tue, dass ich meine Einzigartigkeit zeigen will und ich habe darüber geschrieben dass es mir lieber ist, dass ich ein schönes Leben habe und für überheblich gehalten werde, als dass mich alle mögen und ich dafür unglücklich bin. Jede dieser Geschichten kann man für sich so stehen lassen. Doch letzte Nacht habe ich das alles zu einem ganzen verbinden können. Und der Grund für diese Erkenntnis, war eine Reihe von Ereignissen.

Vor ein paar Wochen hat mir der Muserich geraten, ich solle auf einen Zettel aufschreiben, was ich mir von einem Mann erwarte und auf der Rückseite soll ich aufschreiben, was ich einem Mann bieten kann. Und mit diesem Zettel soll ich mir dann den für mich Richtigen bestellen. Jetzt ist es so, dass ich die Ratschläge des Muserichs zwar sehr zu schätzen weiß, sie jedoch selten so umsetze, wie er es mir rät. Allerdings regen sie mich immer wieder an, etwas zu tun. So war es auch diesmal. Dass ich alles aufschreibe, ist zwar grundsätzlich eine gute Idee, aber was wenn ich was Wichtiges vergesse? Ich hab den Film „Teuflisch“ gesehen. Und auch wenn das Universum nicht teuflisch ist, ein Restrisiko besteht da trotzdem. Ausserdem soll man sich ja beim Wünschen auch nicht selbst beschränken. Ich hab mich also hingestellt und mir einfach den für mich Richtigen „bestellt“. Das Universum wird schon wissen, wer für mich passt.

Was mir bei der „Bestellung“, noch nicht klar war, war dass ich noch einiges zu klären hatte, bevor ich für den Richtigen bereit bin. Und da das Universum manchmal recht flott ist, hat es mir jetzt einfach ein Thema nach dem anderen geschickt und die letzte Botschaft kam dann das letzte Wochenende. Und letzte Nacht, wurde mir dann der Zusammenhang von allem klar. Bevor ich ins Detail gehe noch eines vorweg. Ich beschreibe euch nur wie eines zum Anderen kam, ich will niemanden was vorwerfen und bin auch niemanden böse. Ich bereue nichts was ich getan oder erlebt habe und ich bin auch mit allen im Reinen. Nichts desto trotz war mein Leben nicht immer ganz leicht. Ich hab vieles auf die harte Tour gelernt, was wahrscheinlich auch einfacher gegangen wär. Und alles was ich erlebt habe, hat aus mir den Menschen gemacht, der ich heute bin. Doch ich glaube man muss meine Vergangenheit kennen, um mich verstehen zu können. Dann fangen wir mal am Anfang an. 

Alles begann kurz nach meiner Zeugung. Ich war ein Unfall und meine Mutter wollte mich abtreiben. Das hab ich irgendwie persönlich genommen. Sie hat es dann, offensichtlich, doch nicht getan, doch sie hat mich zu ihren Eltern abgeschoben, die mich dann auch groß gezogen haben. Auch das nahm ich persönlich. Wie konnte sie mich bloß bei diesen Menschen lassen? Mein Vater hat mich einmal im Monat geholt und mit zu sich nach Hause genommen, dort hat er mich bei seiner neuen Frau gelassen und er hat den Tag vor dem Computer verbracht. Auch das nahm ich irgendwie persönlich. Wieso holt er mich eigentlich, wenn er eh keine Zeit mit mir verbringen will? Meine Großeltern wiederum vermittelten mir jahrelang das Gefühl nichts wert zu sein. Es waren immer nur Kleinigkeiten, doch nichts was ich tat war gut genug. Mein Großvater war ein Held und meine Großmutter war eine Märtyrerin. Zumindest sehen sie sich selbst so. Mein Großvater hat solange kein Problem mit Menschen, solange sie zu ihm aufschauen und meine Großmutter definiert sich darüber, sich für andere aufzuopfern. Ich war da irgendwie dazwischen. Zwischen Anbetung für den einen und Mitleid für die andere. Ich war ein Spielball für ihre ganz persönlichen Befindlichkeiten. Was ich wollte, war kein Thema. Ich hatte zu funktionieren und Schluss. Schließlich musste ich dankbar sein, dass sie sich um mich kümmerten, denn meine Eltern interessierten sich ja eh nicht für mich. Ich war nicht gewollt und sie mussten ihr Leben jetzt nach mir richten. Ich brauchte also nicht auch noch was wollen.

Egal was ich als Kind tat oder auch nicht, es wurde immer nur das negative besprochen. Gute Taten, gute Noten, Hilfe im Haushalt, alles selbstverständlich, doch wehe eine Hausübung war nicht gut genug, dann wurde darüber stundenlang gesprochen. Und immer kamen sie mir mit der „Du enttäuscht uns“-Masche. Wenn ich nicht perfekt funktionierte, waren sie von mir enttäuscht, doch nie waren sie stolz. Egal was ich tat, ich war nie gut genug. Immer konnten sie etwas finden, was ich nicht perfekt konnte. Immer wieder erntete ich das zutiefst verletzte Gesicht meiner Großeltern. Die einzige Chance niemanden zu enttäuschen war, nichts mehr zu wollen, ruhig zu sein, niemanden durch meine Existenz zu belästigen und lauter Einser nach Hause zu bringen. Was ich dann auch tat. Meine Bedürfnisse wurden unterdrückt, Hauptsache meine Großeltern waren glücklich und ich bekam nicht wieder das enttäuschte Gesicht zu sehen.

Das ich nicht genug für diese Welt war, prägte sich damals ganz stark ein. Bestätigung der Aussagen meiner Großeltern fand ich dann in der Schule. Dort wurde ich gemobbt. Ich wurde beschimpft, geschlagen, an den Haaren gezogen, verarscht, ausgelacht. Ich hatte keine Freunde, fette Haare, 2 Jeans, 08/15 T-Shirts und Turnschuhe. Ich war ein Mädchen gekleidet wie ein Junge. Ich wollte nicht in die Schule. Ich wollte nicht zu Hause sein. Ich durfte nirgendwo alleine hin. Ich hatte keinen Platz in dieser Welt. Für meine Großeltern war ich nur eine Belastung und die anderen Kinder mochten mich auch nicht. Wenn ich nicht lernte, las ich. Die Welt in den Büchern, war immer schöner als meine eigene.

Mit 16 zog ich zu meiner Mutter und mein Leben änderte sich schlagartig. Das Gefühl der Nutz- und Wertlosigkeit wurde einfach jedes Wochenende in Alkohol ertränkt. Und ich hatte erstmals in meinem Leben „Freunde“. Meine damals beste Freundin, hatte ein ganz spezielles Hobby. Immer wenn ich ihr sagte dass mir ein Junge gefallen würde, ging sie hin und steckte ihm ihre Zunge in den Hals. Und auch wenn es mir jedes Mal einen Stich gab, wenn ich das mit ansehen durfte, so verzieh ich ihr doch ein aufs andere Mal. Sie war alles was ich hatte. Es war ja schließlich auch kein Wunder, dass die Jungs viel lieber was von ihr wollten, als von mir. Ich war schließlich nur ich. Von der eigenen Familie nicht gewollt, nichts wert. Ich hörte einfach auf, ihr zu erzählen wer mir gefiel.

Mit 18 schaffte ich es doch irgendwie einen Freund zu finden. Der wollte mich wirklich. Zumindest so lange er mich nicht hatte. Ein halbes Jahr hatte er mich umworben, die Beziehung war in einem Monat vorbei. Er wollte lieber mit seinen Freunden einen drauf machen, als mit mir eine Beziehung zu führen. Ich war nicht wirklich verwundert. Ich war halt einfach nicht gut genug für diese Welt. Wieso sollte mich ein Mann lieben können, wenn es die eigene Familie nicht kann? So ging es mein ganzes Leben. Immer wenn sich ein Mann oder eine Freundin verabschiedete, suchte ich die Schuld bei mir. Und bei jedem Menschen der in mein Leben trat, versuchte ich noch ein wenig mehr, mich anzupassen um vielleicht doch nicht jemanden zu finden, der mich mochte.

Irgendwann hab ich das Muster erkannt und durchbrochen. Zumindest bei Freunden, bei Männern war das schon schwieriger. Als ich den süßen Typen kennen lernte, war mir von Anfang an klar, dass ich „verlieren“ werde. Ich wusste, wenn ich mich auf einen verheirateten Mann einlasse, werde ich über bleiben. Viele Männer lassen sich scheiden, doch sicher nicht für mich. Ich war es nicht wert, dass man sich für mich entscheiden würde. Das war mir von Anfang an klar. Und so kam es dann natürlich auch. Selbsterfüllende Prophezeiung? So richtig klar wurde mir das erst letzte Woche. Ich war mit Zweifel an die Sache rangegangen und so sind diese Zweifel auch erfüllt worden. Ich war davon ausgegangen dass er sich nicht für mich entscheidet und so kam es dann auch. Während meiner „Beziehung“ mit dem süßen Typen hat er mir immer wieder gesagt „Du hast was Besseres verdient.“ Damals hab ich es nicht verstanden. Doch letzte Woche kam er an und meinte, wir könnten doch wieder Sex miteinander haben. Und ich hab ihn angeschaut und hab gemeint „Ich hab was Besseres verdient.“ Und als ich es sagte, wurde mir klar dass es stimmte. Ich habe tatsächlich was Besseres verdient. Ich bin mir mittlerweile selbst wichtig genug, mich nicht „mit weniger“ zufrieden zu geben. Wenn er mich will, soll er zu mir stehen. Wenn er das nicht kann, wird es ein anderer können. Doch dass er es nicht kann, ist nicht weil ich es nicht wert wäre.

So weit so gut, doch das war noch nicht der Auslöser für meine schlaflose Nacht. Dieser kam am Wochenende. Ein Mann den ich schon fast 2 Jahrzehnte kenne, sagte einen Satz zu mir, der voll einschlug. Sofort bereitete sich ein wohliges Gefühl in meinem Bauch aus. Ich spürte, dass er es ernst meinte und doch begann ich sofort zu zweifeln, dass er damit ja nicht wirklich mich meinen könnte. Ich hoffte zwar, dass es wirklich so gemeint war, doch glauben konnte ich es nicht. Da wir uns schon eine kleine Ewigkeit kennen, fragte ich nach seit wann er denn der Meinung war und er meinte seit dem Wochenende zuvor. Da fehlten mir dann ganz die Worte. Seine Antwort war so überzeugend, dass ich es fast wirklich glauben konnte. Fast, doch ein leiser Zweifel in mir, ließ mich trotzdem verstummen. Ich begann zu grübeln und zu zweifeln an. Als ich merkte was ich da tat, beschloss ich einfach auf das Universum zu vertrauen. Wenn er der Richtige sein sollte, würde er „dran bleiben“. Wenn es sein soll, wird es irgendwie werden. Diese vertrauensvolle Grundhaltung hielt nur nicht allzu lange an.

3 Stunden später ging ich nach Hause. Als ich mich von ihm verabschiedete, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Was wenn er sich sobald ich weg bin, wieder meiner Freundin zuwendet, mit der er schon mal vor Monaten was hatte? Das Grundvertrauen war weg. Ich befürchtete er würde wieder mit meiner Freundin rumknutschen, weil es doch nicht so gemeint war, wie er es gesagt hatte. Ich ignorierte mein gutes Gefühl und fing wieder an mich klein zu reden. Und mit diesen Zweifeln ging ich nach Hause. Am nächsten Tag erwachte ich wieder mit diesem wohligen, guten Gefühl im Bauch, aber auch mit dem Zweifel im Kopf. Ich beschloss, an diesem Tag mit niemand zu telefonieren, um das gute Gefühl auskosten zu können. Als mich meine Freundin dann am Sonntag anrief, erzählte sie auch nichts, was mein gutes Gefühl zerstörte. Ich spürte richtiggehend die Erleichterung, ich durfte mich auch weiterhin freuen. Allerdings nicht allzu lange. Am späten Nachmittag rief sie wieder an. Sie hatte noch mit einer anderen Freundin telefoniert, die ihr erzählt hatte, dass sie am Freitag noch mit jemand kurz rumgeknutscht hat. Und jetzt ratet mal, mit wem!

Das gute Gefühl im Bauch, wurde augenblicklich von einem schalen Geschmack im Mund verdrängt. Und mein erster Gedanke? Eh, klar. Was soll er auch von mir wollen, solange er sie haben kann. Ich bin es nicht wert auch mal glücklich zu sein. Ich bin nicht gut genug. Ich habs persönlich genommen. Wieso eigentlich? Weil ich es immer schon getan habe? Oder weil ein anderer Ansatz überheblich wäre? Wenn ich aufhören würde mich klein zu machen und mich hinstellen würde und sagen würde „Sein Problem wenn er sich mich entgehen lässt“, wäre dass dann nicht überheblich? Und wieso passiert das eigentlich immer mir? Meine erste beste Freundin fiel mir wieder ein. Und bei all diesen Geschichten, gab es immer einen gemeinsamen Nenner. Mich! Ich mach mich klein. Ich gehe davon aus, dass ich neben meinen Freundinnen nur 2. Wahl sein kann. Ich verstecke mich. Ich hab Angst, dass der Mann der nette Dinge zu mir sagt, hingeht und mit meiner Freundin rumknutscht. Ich hab Angst, dass mir meine Freundinnen den Mann wegnehmen. Ich zweifle. Ich stell mich hin und sage ich bin wertlos. Ich stelle mich hin und sage, ich bin es nicht wert geliebt zu werden.

Ich weiß wo es herkommt. Doch ich will das jetzt ändern. Ich bin den beiden auch gar nicht böse. Ich sehe die 2 als meine Boten, die mir noch die letzte Erkenntnis bringen mussten, damit ich endlich für den Richtigen bereit bin. Sie waren der Auslöser, dass ich endlich alles verbinden konnte. Es wird Zeit mich zu zeigen und zu mir zu stehen, denn nur dann können es auch andere. Und irgendwann wird ein Mann mir ein Kompliment machen und ich werd es annehmen können und werde nicht mehr zweifeln und dann hab ich ihn gefunden. Den für mich Richtigen. Und bis dahin werd ich mich bemühen, noch mehr zu mir zu stehen. Ich mag mich ja mittlerweile, wieso also sollen mich nicht auch andere mögen können?

© Libellchen, 2011

4 Kommentare zu “Schlaflos

  1. Liebes Libellchen,
    erstmal herzlichen Glückwunsch, dass du den süßen Typen abblitzen lässt. Das ist Schritt Nr. 1. Genau das habe ich vergangene Woche Freitag ebenfalls getan und es war richtig, wenn auch schwer.
    Es gibt viele Richtige für dich und irgendwann bist du es, die auswählt. Wenn es soweit ist, dann suchst DU dir den Richtigen aus, für immer, für eine Weile, wie lang auch immer.
    Es ist ein gutes Gefühl selber zu wählen.
    LG
    Elke

    • Hallo liebe Elke!

      Ich weiß gar nicht ob ich auswählen will, lasse mich auch gerne finden 🙂 Aber wie auch immer, wichtig ist, dass ich endlich daran glaube, es auch wert zu sein, glücklich zu werden!

      LG

  2. Viele deiner Gefühle sind den meinen sehr ähnlich! Und ich finde es schön und vor allem sehr bemerkenswert, wie du deine Gedanken und Gefühle sortierst und dir selbst immer näher kommst! Ich hoffe, du kannst diesen Weg weitergehen und ich sehe dir sehr gerne dabei zu! Du gibst auch ganz viel Hoffnung, finde ich!

    Sei lieb umarmt,
    Sunny

    • Liebe Sunny!

      Erstmal vielen Dank für die Blumen 🙂 Ich merke auch wie ich mich immer besser kennen lerne und auch lerne, mich selbst wert zu schätzen. Viel zu lange, hab ich mich selbst nieder gemacht, aber damit ist jetzt Schluß! 🙂

      GlG

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