Wahltag

Gestern war es endlich so weit. Nachdem wir uns zwei Wochen lang in der Kälte die Hacken abgelaufen haben. Ständig mit Hausbesuchen und Strassenwahlkampf unterwegs waren, konnten wir am Sonntag nichts mehr dazu beitragen. Die Würfel hielten die Wähler in der Hand und für uns hieß es abwarten.

Ich ging gleich in der Früh um 9 Uhr wählen, da ich um 10 Uhr bei der besonderen Wahlbehörde (ich sage auch fliegende dazu) eingeteilt war. Ich muss sagen ich war total nervös, den Vorzugsstimmenzettel mit meinem Namen darauf in die Urne zu werfen. Am Rückweg kam ich dann noch bei einem Rot Kreuz Einsatz vorbei. Eine Nachbarin hatte einen allergischen Schock. Als ich ankam war aber eh schon der Notarzt vor Ort. Ich zog mich um und fuhr zu meiner Wahlbehörde. Wir hatten nur zwei Personen aufzusuchen und waren auch in einer Stunde fertig. Dann hieß es für mich wieder warten. Erst um 16 Uhr wurde ich wieder gebraucht. Als Zeuge in einem Sprengel.

Meine Aufgabe war es die Auszähler der anderen Parteien im Blick zu behalten, das Ergebnis umgehend weiterzugeben und unsere Vorzugsstimmen zu zählen – ohne einen Zettel anfassen zu dürfen. Da ich es zu Hause nicht länger aushielt fuhr ich bereits um 15 Uhr ins Sprengelbüro. Dort hatte ich wenigstens Gesellschaft.

Ich bekam noch die letzten Wähler mit und dann schaute ich mir so einen Auszählungsvorgang das erste Mal live an. Und so etwas unkoordiniertes, dämliches habe ich noch nie gesehen! Drei Zeugen waren vor Ort. Drei Zeugen die nichts angreifen durften, die aber sicher schneller zu einem Ergebnis gelangt wären. Statt einen Stapel pro Partei mit und einen Stapel pro Partei ohne Vorzugsstimme gegeben hat, gab es vier Stapel pro Partei mit und ohne. Und bei jedem Mal zählen kamen andere Zahlen raus und bei jedem Mal zusammenrechnen auch. Wir hatten nur 46% Wahlbeteiligung bei dem Sprengel. Bei mehr, würden wir wahrscheinlich heute noch dort sitzen.

Und das Ergebnis war nicht gut für uns. Die Bürgermeisterpartei fuhr bei uns einen schönen Erfolg ein. Das wurde auch nicht besser nach dem siebten Mal zählen…..

Nachdem wir fertig waren, fuhr ich nach Hause, stellte mein Auto ab und zog mir Partyklamotten an. Obwohl mir nicht zum Feiern zu mute war. Ich hatte defintiv zu viel Zeit in dem deprimierenden Sprengel verbracht und hatte keine Ahnung was im Rest des Ortes abging. Wochenlang stand die WhatsApp Gruppe nicht still, doch Auszählungsergebnisse drangen keine raus.

Als ich zu Fuß bei der Wahlparty ankam, wurde ich noch vor der Tür von den ersten umarmt. Sie fielen mir regelrecht in die Arme. Und ein Nachbar gratulierte mir mit einer innigen Umarmung. Und ich nur so „Wofür?“ Ich steckte geistig noch in „meinem“ Sprengel und hatte noch keine Ahnung. Und ich kam kurz vor unserem Chef an. Genau genommen hatte ich noch nicht mal was zu trinken, dafür war ich bereits fünf Mal gedrückt worden. Alle hatten Tränen in den Augen und ein Lächeln im Gesicht und ich hatte immer noch keine Ahnung was los war.

Doch da griff unser Chef schon zum Mikro und verkündete das Ergebnis. Wir haben 13% zugelegt, die Wahlbeteilung um fast 10% gesteigert und 5 Mandate geholt. Die Zeiten wo die Bürgermeisterpartei über uns drüber fahren kann sind vorbei. Wir haben nämlich nicht nur die gleiche Anzahl von Mandaten, sondern haben auch nur 9!!!! Stimmen weniger bekommen als sie. Und ich stand da und versuchte das gesagt zu verarbeiten. Währenddessen wurde ich einfach weiter gedrückt von allen die vorbei kamen. Und manch einer gratulierte mir zur Wahl als Gemeinderätin. Und ich stand immer noch da und fragte mich „Wie kommst du da drauf?“

Wir haben ja ein absolutes Vorzugsstimmensystem, wer die 12 Gemeinderäte sind, wird in drei Stunden verkündet. In „meinem“ Sprengel habe ich auch keine Vorzugsstimme von mir gesehen, dort war ich aber auch nicht unterwegs gewesen. Ich habe zwar 500 Hausbesuche erledigt, aber am anderen Ende des Ortes. Leute die in Sprengeln ausgezählt haben, wo ich unterwegs war, dürften aber die eine oder andere Vorzugsstimme von mir gesehen haben….

Und beim dritten Spritzer kam mein Hirn langsam an. Wir hatten es geschafft. Unser Plan war komplett aufgegangen. Scheiß auf die neun Stimmen. Wir haben die Verhältnisse geändert. Deswegen waren wir angetreten. Und das hatten wir geschafft. Und ob die Frau Bürgermeister als Bürgermeisterin bleiben kann, wird sich noch zeigen. Doch so weit denken sie und ihre Wählerschaft noch nicht. Die freuen sich über die neun Stimmen und vergessen, dass der BürgermeisterIn von den Gemeinderäten gewählt wird…. Und wir haben Gleichstand. Das heisst es liegt an den Grünen – 3 Mandate, den Blauen – 1 Mandat und einem „alten“ Gemeinderat der mit neuer Liste angetreten ist – ebenfalls 1 Mandat.

Der alte Gemeinderat ist gern gesehener Gast in unserer Wahlkampfzentrale und hasst die Frau Bürgermeister. Die blauen kann ich nicht einschätzen. Doch die grüne Vorsitzende hat jahrelang unter der Bürgermeisterpartei gelitten. Die haben sie immer von oben herab behandelt, sind ihr ins Wort gefallen und sie ansonsten gefliessentlich ignoriert. Und das war nur das was ich persönlich bei den öffentlichen Sitzungen gesehen habe….

Ich denke die nächsten sechs Wochen werden nicht allzu nett werden – wir gehen davon aus dass sie die Wahl so spät wie möglich abhalten werden. Die unreflektierten Beschimpfungen werden sicher weitergehen, sobald die roten draufkommen dass ein frischer Wind weht im Ort…..

Doch wir sind viele und wir sind ein tolles Team, das haben wir in den letzten Wochen bewiesen und das werden wir auch in Zukunft zeigen. In welcher Form auch immer. Gemeinderat hin oder her. Entweder sitze ich bald selbst im Gemeinderat oder ich habe die 12 Gemeinderäte gestern defintiv geknuddelt. Das habe ich nämlich mit allen gemacht! Und dann haben wir getanzt….. Wir haben den abfallenden Stress einfach rausgetanzt……

© Libellchen, 2020

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