Stolzes Alter

Ich war gestern meiner Großmutter zum Geburtstag gratulieren. Stolze 90 Jahre ist sie mittlerweile und ihr Lebenswille scheint ungebrochen. Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht weiß, was genau sie am Leben hält. Sie hat ihr Leben noch nie gemocht, genauso wenig wie die Menschen. Alles war immer nur negativ und schlecht. Alle Menschen waren ungerecht und böse. Sie sprach von sich selbst oft, als eine derer die nur dazu da sind, damit sich andere auf ihre Kosten bereichern können. Seit einem Unfall vor mehreren Jahrzehnten hat sie nach eigenen Angaben dauernd Schmerzen. Heuer im Frühjahr hatte sie einen Schlaganfall und konnte sich nicht mehr bewegen und auch nicht sprechen.

Gestern war ich mal wieder bei ihr. Und sie ist wieder ganz die alte. Lästert über ihre Mitmenschen, unterstellt allen immer die niedrigsten Beweggründe, ist unreflektiert und gehässig wie eh und je. Vielleicht hat sie mich auch angelogen – wäre für sie ganz normal. Jetzt ist sie 90 und ich mag sie immer noch nicht. Wobei als Kind mochte ich sie schon, geliebt habe ich sie allerdings nie. Als Kleinkind glaubte ich ihr alles. Als Kind war ich dankbar für alles, was sie mir sagte, wofür ich dankbar sein soll. Doch irgendwann begann ich Aussagen zu hinterfragen. Widersprüche und Lügen aufzudecken. Und als Jugendliche wurde mir bewusst wie gehässig sie eigentlich wirklich ist. Wie sie Lügen verbreitet hat über andere Menschen, wenn sie dachte, sich dadurch einen Vorteil verschaffen zu können. Dabei agierte sie aber so dumm, dass nie eine ihrer Intrigen aufging – zumindest nicht dauerhaft.

Kurzfristig konnte sie die Menschen schon einwickeln, doch wenn man sie einmal durchschaut hatte, fiel man meistens kein zweites Mal auf sie rein. Mittlerweile hat sie eine gute Ausrede. Immer wenn ich jemand sage meine 90-jährige Großmutter ist gehässig und böse, kommt als Antwort „So sind die alten Menschen halt nun mal.“ Wobei ich das nicht glauben will. Ich will nicht glauben dass alle alten Menschen böse und gehässig sind, und gerade bei ihr, hat es nichts mit dem Alter zu tun. Wenn man mit Menschen redet die sie schon 40 oder 50 Jahre kennen, erzählen einem die alle dasselbe – Sie war schon immer so!

Wobei es natürlich auch hierfür einen Grund geben wird. Sie wird schon kein leichtes Leben gehabt haben. Doch davon hat sie mir nie erzählt. Und die Hälfte von dem was sie mir erzählt hat, habe ich mittlerweile als glatte Lüge entlarvt. Von daher interessiert es mich jetzt auch nicht mehr warum sie so ist. Für mich ist nur wichtig, dass ich ihre Negativität nicht mehr an mich ranlasse. Ich habe gestern versucht ihre Bosheiten zu überhören und habe es großteils auch geschafft. Bis Weihnachten habe ich jetzt Ruhe. Ich „gönne“ mir ihre Gesellschaft mittlerweile nur mehr 2 x im Jahr – mehr halte ich sie einfach nicht aus.

Jetzt ist sie also 90. Letztens haben wir gemeinsam überlegt was sie wohl am Leben hält. 90 war sicher ein Meilenstein. Opi ist ja nur 89 geworden, von daher hat sie gewonnen. Möglicherweise wird sie auch 99 – ein Ziel von Opi das er nicht erreicht hat. Was auch immer es ist, wir werden es nie ganz sicher wissen. Ich will aber auch nicht zu viel über sie nachdenken. Denn jedes Mal wenn ich versuche sie zu verstehen, merke ich wie ich selbst gehässig werde. Es gibt einfach keine positiven Ansätze in ihrem Leben, von daher wenn man sich in sie reinversetzt, kommt das Böse automatisch. Von daher werde ich auch dieses Kapitel beenden. Was auch immer sie am Leben hält, mir ist es ab sofort egal. Ich werde versuchen mein Leben noch mehr zu genießen, damit ich nur ja nicht so ende wie sie.

Alleine, verbittert, böse, gehässig, ungeliebt…..

© Libellchen, 2014

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