Ich habe lange überlegt wann ich zuletzt ein tränenfreies Silvester hatte und es fiel mir nicht ein. Als Kind habe ich mich sicher noch darüber gefreut, doch enttäuscht war ich trotzdem immer. Nicht wegen Silvester, sondern weil es auch mein Geburtstag ist und er nie so wurde, wie ich es mir gewünscht hatte!
Voriges Jahr habe ich dann beschlossen, diesmal lasse ich meinen Geburtstag einfach ausfallen. Geht nur in Zeiten der Social Media nicht so leicht. Klar ich hätte auf Facebook das Geburtsdatum rausnehmen können, aber ganz vergessen will man ja auch nicht werden. Ein ganz klarer Fall von Selbstbetrug. Durch die automatische Erinnerung von Facebook, bekommen ja alle meine Freunde eine Benachrichtigung und können mir dann in nicht mal einer Minute gratulieren. Und ja, ich freue mich dann trotzdem über jeden der schreibt.
Doch ich wollte keine Pseudo-Gratulations-Besuche nur um dann erst wieder alleine rüber rutschen zu müssen. Kurzfristig dachte ich ans wegfahren, doch dazu war ich dann doch zu unmotiviert. Als ich begann mir etwas zu suchen, war schon alles ausgebucht. Und dann starb meine Großmutter und wir legten das Begräbnis auf meinen Geburtstag. Und so hatte ich einen guten Grund einen halben Tag unterzutauchen. Ich schaltete mein Telefon aus und fuhr auf den Friedhof.
Und irgendwie hatte ich dann mehr Familie an meinem Geburtstag zusammen als jemals zuvor in meinem Leben. Ernsthaft. Noch nie waren so viele Familienmitglieder zu Silvester zusammen! Begräbnisse sind halt doch auch Familienzusammenführungen. Und so kam es dass ich Verwandte wieder sah, die ich schon seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte! Doch mal abgesehen von der Freude über das Wiedersehen, hatten wir auch etwas zu tun. Omi anständig zu beerdigen.
Der Bestatter hatte mit meiner Mutter ausgezeichnete Arbeit geleistet. Alles war total schön hergerichtet, doch ich trauerte einfach nicht. Der Umstand ihres Todes trieb mir einfach keine Tränen in die Augen. Doch das hatten wir schon befürchtet und so hatte ich mit Mama eine Plan B ausgeheckt. Wir brauchen die richtige Musik, dann kommen die Tränen von ganz alleine. Und tatsächlich. Die ersten 4 Takte von „Hallelujah“ von Jeff Buckley und ich hab zu heulen angefangen. Natürlich wusste keiner, dass ich nicht wegen meinem Verlust heule, sondern wegen dem Lied an sich… Na gut. Mama wusste es. Aber sie war auch die einzige. Ich beruhigte mich dann zwar auch wieder, aber bei „It´s time to say goodbye“ von Sarah Brightman und Andrea Bocelli gings gleich wieder los. Und ich steckte auch meine Cousine neben mir an.
Und so hat sie es bekommen. Ein schönes Begräbnis mit heulenden Menschen. Und ich habe an Silvester mal wieder geheult. Allerdings nicht aus Enttäuschung, sondern vor Erleichterung. Das kleine verletzte Mädchen in mir kann nun endlich ruhen. Es leben keine Verwandten mehr denen ich es Recht machen will, aber nicht kann. Die noch lebenden Verwandten sind stolz auf mich so wie ich bin. Da muss ich nicht um Anerkennung betteln. Die kann ich umarmen und bekomme das Gefühl retour geliebt zu werden. Und plötzlich habe ich auch manche Verwandte in einem anderen Licht gesehen. Jahrzehntelang hatte ich immer die Stimme von Omi in den Ohren, was sie wirklich von ihnen hält. Kaum ist sie nicht mehr da, schaue ich ihnen in die Augen und sehe plötzlich ganz etwas anderes in ihnen.
Vielleicht schaffen wir das große Familientreffen 2016 wirklich. Ich würde mich freuen und nicht nur wegen der ganzen Geschichten die ich noch gar nicht kenne…..
Ich kann mich gerade nicht dem Gefühl erwehren dass jetzt ein neuer Lebensabschnitt für mich beginnt!
© Libellchen, 2016