Mein neuer Chef hat eine Mission. Er will mein Selbstwertgefühl stärken. Was er eigentlich von Stunde eins an auch getan hat. Was mir aber vorher nicht klar war, wie notwendig das mittlerweile geworden ist….
Ich habe ein gutes Selbstbewusstsein. Ich weiß genau wer ich bin und was ich kann. Das ist aber kein Grund nicht unter einem mangelnden Selbstwertgefühl zu leiden! Denn auch wenn man weiß wer man ist und was man kann, wenn einem dauernd erzählt wird, dass dies nicht genug ist, dann hat man ein echtes Problem.
Wenn man als Scheidungskind zu den Großeltern „abgeschoben“ wird, sind die Grundvoraussetzungen schon mal mies. Die eigenen Eltern wollen einen einfach nicht. Man ist ihre Zeit offenbar nicht wert – hat jetzt nichts mit meinem Verhältnis zu meinen Eltern heute zu tun! Ist jetzt rein nur die Empfindung eines kleinen Kindes. Das nicht gewollt wurde. Und die Grosis haben natürlich das ihre dazu beigetragen.
Auf Grundlage dieser Ausgangsbasis wurde ich dann in der Schule von den Mitschülern gleich mal gemobbt. War ja auch ein dankbares Opfer. Ich glaubte ja sowieso schon nichts wert zu sein, warum also wehren, wenn einem das die Schulkollegen bestätigen? Im Gegenteil, das mangelnde Selbstwertgefühl wurde stetig weiter einzementiert.
In der höheren Schule ging es dann in derselben Tonart einfach weiter. Mobbing bis ich mit 16 begann fortzugehen. Damals war meine Schutzmauer schon enorm hoch und dick. Hinter der Mauer litt ich zwar nach wie vor unter Zurückweisung, doch nach außen hin konnte ich es zumindest gut verbergen.
Wenn man ständig das Gefühl hat nichts wert zu sein, dann neigt man dazu sich Menschen anzupassen die nett zu einem sind. Richtig unterwürfig war ich zwar nie – danke an den Steinbock in mir – doch ich habe mich immer zurückgehalten und sowohl in Freundschaften als auch in Beziehungen habe ich mich nach den anderen gerichtet. Das stärkt das Selbstwertgefühl natürlich nicht. Wo ich es ein wenig stärken konnte war über Anerkennung im Job. Daher war ich auch in meinen Anfangsjahren als Workaholic unterwegs. Das war für mich lange Zeit die einzige Möglichkeit irgendwie mein nicht existentes Selbstwertgefühl aufzubauen.
Ganz schlimm waren soziale Verluste obwohl man sich sowieso schon zurückgenommen hat. Da hat man von sich aus schon alles getan, dass eine Beziehung funktioniert und wurde trotzdem verlassen. Das selbe Schema, wie in meiner Kindheit. Ich war die Zeit und Zuneigung offenbar einfach wirklich nicht wert. Als Jugendliche habe ich das auch offen kommuniziert. Nach einer Trennung sagte ich zu einer Freundin „Kein Wunder. Wieso sollte er mich auch lieben, wenn es meine eigenen Eltern nicht konnten.“ Es musste einfach an mir liegen. Dass ich es nicht verdient hatte….
Bei meiner alten Dienststelle – der ich immer noch angehöre – wurde es dann wirklich schlimm. Dort wurde nämlich auch noch das dienstliche Selbstwertgefühl angekratzt. Immer und immer wieder wurde mir kommuniziert, dass ich zu blöd sei, zu unfähig, sozial inkompetent, einfach nicht gut genug. Und ja, tief in mir blieb immer ein wenig hängen. An den alten Überresten meiner Kindheit.
Dann kam ich zu meiner vorigen Dienststelle und dort machte Mrs. Wichtig anfangs genauso weiter. Im Laufe der zwei Jahre drehte sich das aber ein wenig. Dort hatte ich aber das Problem, dass ich keine berufliche Kompetenz mitbrachte. Die Arbeit war einfach nicht meines!
Und jetzt bin ich in einem Umfeld wo ich von Stunde eins an herzlich empfangen worden bin. Wo ich sowohl beruflich geachtet, als auch persönlich gemocht werde. Weshalb ich in dem letzten Monat auch enorm aufgeblüht bin – was mir jeder bestätigt, der mich sieht. Mir geht es einfach gut. Ich kann ganz ich selber sein, meine berufliche Kompetenz ausleben und bin von Menschen umgeben, die sogar den Anspruch haben, mein Selbstwertgefühl stärken zu wollen. Und erst als mein Chef im Gespräch meinte „Ich glaube es wird Zeit, dass wir dein Selbstwertgefühl wieder stärken.“ wurde mir klar, dass ich nie wirklich viel besessen hatte! Ich hatte zwar im Laufe der Zeit gelernt es zu faken, aber ich hatte es nie wirklich gespürt. Im Zweifelsfall fiel ich immer wieder zurück in alte Muster!
Was sicher auch mein Händchen für die Männerwelt erklärt. Etwas in mir war ja überzeugt nicht gut genug zu sein, also bekam ich auch Männer frei Haus geliefert, die mir das immer wieder bestätigten….
Tja, tolle Selbsterkenntnis. Jetzt muss ich mir nur überlegen was ich damit anfange….
© Libellchen, 2019