Unsere Seele….
In der neuen Dienststelle habe ich ja eine Kollegin, mit der ich eng zusammenarbeiten werde. Wir vertreten uns gegenseitig und sie ist auch die Stellvertreterin vom Chef. Im Vorfeld hatte ich schon einiges über sie gehört und sie hält auch nicht damit hinter dem Berg.
Mal abgesehen von den „normalen“ Schicksalsschlägen – Scheidung und alleinerziehende Mutter, plus Schulden vom Ex abbezahlt -, war sie live dabei beim Tsunami in Sri Lanka 2004 – und wäre fast davongeschwemmt worden. Sie war im Hotelzimmer als es geflutet wurde und konnte sich und ihre Lieben gerade so retten. Und als sei dies nicht genug, hat sie vor 9 Jahren Brustkrebs bekommen, Operation und Chemo inklusive. Und die Krankheit ist auch nicht ausgestanden, die hängt noch immer wie ein Damoklesschwert über ihr.
Das alles wusste ich noch nicht, als sie mich am zweiten Tag mit Küsschen links und rechts begrüßte. Von der Krankheit wusste ich bereits, als sie mich am dritten Tag zur Verabschiedung umarmte.
Beim Vorstellungsgespräch hatte ich das Gefühl, dass mich die beiden am liebsten dort behalten hätten. Zu meiner Freundin S. sagte ich „Ich habe das Gefühl, die hätten mich am liebsten adoptiert.“ Und ja, sie hat mich quasi adoptiert. Und ich sie auch!
Ich habe das Gefühl sie bei allem unterstützen zu wollen. Für sie da zu sein. Ihr Arbeit abzunehmen. Sie macht und tut und jammert nicht. Sie ist lustig und offen. Herzlich! Aber sie sagt, sie ist oftmals müde. Kein Wunder nach dem Leben und der Krankheit! Andere gehen in Krankenstand, sie geht jeden Tag ins Büro und verstrahlt dabei eine Lebensfreude, die alle ansteckt.
In ihrem Büro hat sie eine Fotowand. Von ihrem dienstlichen und privaten Leben. Fotos von etlichen Ministern für die sie direkt gearbeitet hatte. Von Ausflügen mit Kollegen, ihrem Sohn, ihrer Enkeltochter und ihren Freunden. Und überall strahlt sie eine enorme Lebensfreude aus. Ein Foto hat es mir enorm angetan. Da war sie in den zwanzigern. Mit längerem Haar. Sie strahlt darauf, man kann sich richtig vorstellen wie sie einen Raum erhellt hat, wenn sie ihn betreten hat.
Dieses Strahlen ist heutzutage gedämpft. Sie strahlt immer noch von innen, aber sie erhellt ihre Umgebung nicht mehr so. Es ist gedämpft. Das Leben ist offenbar dazwischen gekommen. Aber es ist hell genug, dass man sie einfach mögen muss. Sie in den Arm nehmen will und ihr Kraft geben will. Was ich auch tue. Sie ist für mich da und ich für sie. Sie hilft mir beim Einleben, ich unterstütze sie bei der Arbeit.
Gegen ihr Leben, war meines ein Sonntagsspaziergang. Ihre Lebensfreude und Offenheit ist bewunderns- und erstrebenswert. Man muss diese Frau einfach mögen und das tun die meisten auch. Sie kennt enorm viele Menschen und alle umarmen und „küssen“ sie. Wer nach so einem harten Lebensweg noch so lebenslustig und positiv sein kann, hat sich jede einzelne Umarmung auch redlich verdient!
Neben dem Job den ich zu tun habe, sehe ich es auch als meine Aufgabe an, ihr die letzten Jahre bis zur Pension so angenehm als möglich zu machen. Und das kommt alleine aus meinem Inneren. Das musste mir keiner sagen. Das ist einfach sie. Ihre liebenswürdige Seele.
© Libellchen, 2019