Mein junges idealistisches Ich hat dem Job immer den Vorrang gegeben. Alle privaten Termine passten sich an den Dienst an.
Was möglicherweise auch damit zu tun hat, dass ich in meinen beruflichen Anfangsjahren in der Privatwirtschaft war. Dort schwebte immer das drohende Jobverlust-Schwert über unseren Köpfen. Mein erster Auftrag in meinem ersten Job war allen abzusagen die meinen Job gewollt hatten. Ich schrieb 60 Absagen. Und da wird einem gleich mal klar, wenn man nicht „spurt“ dann warten darauf 60 Andere. Natürlich war ich damals auch jung und auf mich alleine gestellt. Ich war mit 19 ausgezogen und musste ab da alleine über die Runden kommen. Ein Zurück ins elterliche Nest war bei mir nicht möglich. Also tat ich alles um meinen Job zu behalten und mir das Dach über dem Kopf zu sichern.
Meine Zahnarzttermine legte ich genauso in die Mittagspause wie das einsetzen meiner ersten Spirale. Mit starken Schmerzen und Blutungen ging ich danach wieder an meinen Arbeitsplatz und arbeitete weiter. Krankenstand nahm ich sowieso nur bei Fieber – und auch das erst, wenn ich alles wichtige Dienstliche erledigt hatte! Eine Filialeröffnung brachte ich mit Fieber in High Heels und Minirock hinter mich, erst danach ging ich Krankenstand. Meinem Körper tat ich damit sicher nichts Gutes.
Mittlerweile bin ich älter, weiser und im öffentlichen Dienst. Die Grundhaltung habe ich aber behalten. Der Dienst geht vor und privates wird danach ausgerichtet. Wenn es dienstlich nicht ging, verschob ich meine privaten Termine (auch nach 16 Uhr) und die Wochenenden verbrachte ich oftmals faul auf der Couch, weil ich keine Kraft mehr für irgendetwas hatte.
Als ich in meiner neuen Dienststelle anheuerte, merkte ich erst wie es auch anders ging. Mein Kollege machte sich oftmals um 14 Uhr vom Acker wegen privater Termine. Kam ein Auftrag rein, kommunizierte er das einfach. Er könne nicht, er müsse um 14 Uhr weg. So etwas hätte ich mich nie getraut! Doch er fuhr ganz gut damit. Die Aufträge ernteten alle anderen. Er war ja nie da. Wenn er am Wochenende ein anstrengendes Event hatte, ging er auch oftmals dann unter der Woche in Krankenstand. Am nächsten Wochenende war er dann wieder fit, für das nächste Event. Seine Prioritäten waren klar. Und dafür bekommt er auch noch mehr bezahlt als ich.
Wer hier der Doofe ist, ist wohl offensichtlich.
Oder besser gesagt war. Schön langsam hat sich nämlich da bei mir auch etwas verändert. Es war ein anstrengendes Wochenende gewesen. Natürlich ging ich am Montag trotzdem arbeiten. Doch dann schlug meine zickige Gebärmutter wieder zu. Der Blutverlust führte zu extrem niedrigem Blutdruck und Schwindel. Nichts was mich früher von der Arbeit abgehalten hätte, aber diesmal schon. Ich ging in Krankenstand und blieb auch gleich drei Tage zu Hause.
Am Freitag war ich wieder in der Arbeit und merkte, dass die Arbeitswelt nicht untergegangen war. Im Gegenteil. Mein Kollege hatte tatsächlich alle Aufträge erledigt. Und dann kam mein Chef und briefte mich was ich verpasst hatte und was anstehen würde. Unter anderem eine Besprechung. Und der Termin war einer der zwei möglichen für das Einsetzen meiner neuen Spirale.
Ich früher: Hätte den späteren Termin genommen, da Job vor Privatleben geht. Auch wenn es im Privaten darum geht meine zickige Gebärmutter zu beruhigen und die Blutungen endlich loszuwerden. Also kein Halli-Galli Ausflug, sondern eine medizinische Notwendigkeit!
Ich heute: Habe meinem Chef gleich gesagt, dass ich da möglicherweise meine OP habe und nicht da bin. Das ich aber erst meinen Arzt anrufen müsse. Und mein Chef? Kein Problem, wir sind eh genug. Wenn du den Termin bekommst, dann nimm ihn ruhig.
Und ja, ich werde mir den ganzen Tag frei nehmen und auch gleich noch den Freitag darauf. Und zwar nicht auf meine Zeitkarte, sondern auf Krankenstand. Wenn andere vier Tage zu Hause sind, wenn sie sich ein Muttermal entfernen lassen, kann ich auch zwei Tage zu Hause sein beim Einsetzen der Spirale unter Narkose.
Diese Veränderung „verdanke“ ich auf jeden Fall meinem Kollegen und meinem Chef. Die beiden sind diesbezüglich nämlich sehr exzessiv. So schlimm will ich gar nicht werden, aber in manchen Fällen ist es wirklich gut, wenn ich ein wenig mehr auf mich und meinen Körper schaue und nicht immer nur auf den Dienst. Dank hat man dafür ja sowieso nicht und Geld bekommen auch alle anderen mehr als ich…
© Libellchen, 2019