Zen ist überhaupt nicht lustig!!!

Der Samstag begann mit zwei Stunden Morgenmediation. Das tollste an meinem Zimmer war, dass ich gleich am Gang des Seminarraumes wohnte. Ich konnte also gleich in Socken rüber gehen, was ich auch beibehielt beim Frühstück. Schuhe zog ich nur an wenn ich das Gebäude verlassen musste.

Es gab wieder 3×25 Minuten zazen und dazwischen schnell und langsam gehen. Ich schaffte es zwar mittlerweile beide Knie auf den Boden zu bekommen, doch ich konnte es nicht 25 Minuten durchhalten. Immer schlief irgendein Bein ein. Ich hielt so lange durch wie ich konnte, doch irgendwann löste ich immer meine Sitzposition. Ich war aber nicht die Einzige und somit hielt ich es auch für in Ordnung. Ich tat mein Bestes und man muss sich ja nicht selber quälen!

Nach der Morgenmeditation gab es dann um 9 Uhr Frühstück – was mir schon sehr gut schmeckte! Um 10 Uhr 15 ging es dann los mit der Wanderung. Ca. 5 Stunden würden wir im Gänsemarsch durch die Gegend laufen. Gänsemarsch deswegen um die Energie in Gleichklang zu bringen. Das Wetter war immer noch gnädig. Nur wenig Nieselregen ganz am Anfang und danach gar nichts mehr bis wir zurück kamen.

Gehen macht mir eigentlich in der Ebene nicht viel aus. Aber fünf Stunden sind halt schon auch eine ganz schöne Strecke. Körperlich aber auf jeden schaffbar. Ich bekomme Probleme immer erst bei Höhenmetern und die waren im Waldviertel nicht zu erwarten. Und so stapften wir los. Ich kannte die Person vor mir nicht und wusste nicht wer hinter mir ging – ich drehte mich auch gar nicht um. Für die Wanderung hat uns unser Seminarleiter eine Frage mitgegeben die wir uns stellen sollten „Wer geht hier?“. Und „ich“ ist als Antwort zu wenig…. Die ersten zwei Stunden dachte ich über alles möglich nach, aber nicht über die Frage! Ich wunderte mich warum es manche Menschen einfach nicht schaffen das zu tun was man ihnen sagt und immer wieder aus der Reihe tanzen. Ich überlegte ob das eine Pärchen wohl noch frisch verliebt ist, so wie sie offenbar unfähig war einen Schritt ohne Schatz zu tun. Die pickten wie siamesisches Zwillinge aufeinander. Bei anderen Paaren kam ich erst am letzten Tag – bei der Abreise – drauf dass sie überhaupt ein Paar waren! Im Seminarraum hatten sie Pärchen nämlich bewusst getrennt gesetzt! Und ich fragte mich ob der gutaussehende junge Mann mit dunklen Haaren wohl eine Frau zu Hause habe und ob es sich wohl schicken würde bei so einem Seminar zu flirten. Und das wo sogar beim Essen angesagt war, dass wir uns auf uns und nicht die anderen konzentrieren sollten. Danke Papa übrigens dass du mir so eine Idee in den Kopf gesetzt hast! Kurz und gut, ich tat nicht das was ich sollte!

Erst nach zwei Stunden fiel mir ein dass wir ja eigentlich eine Aufgabe hatten. Also versuchte ich sie zu beantworten. „Wer geht hier?“ Klar, ich. Und zwar das reine ich. Nicht eine Rolle die ich spiele. Nicht die Arbeitskollegin. Nicht die Mitarbeiterin. Nicht die Nachbarin. An diesem Wochenende war ich wirklich ich. Ich ging in Socken durchs Haus weil mir danach war. Ich konnte still sein und mussste keine Konversation treiben. Ich war auf mich reduziert, was mich nicht stört. Ich hatte keine Musik, keine Zeitung, keinen Fernseher. Ich machte mir keine Gedanken um die Welt, sondern war auf mich und meinen mittlerweile recht müden Körper reduziert. Ich nahm das Waldviertel im Nebel wahr. Sah das grün der Bäume, hörte das knirschen der Schritte, das zwitschern der Vögel und war ein Teil davon. Von dieser Welt, in diesem Moment. Ich war alleine und doch war ich ein Teil von etwas.

Ich war zu dieser Zeit an diesem Ort weil mich das Schicksal dorthin geführt hatte. Es gibt Entscheidungen im Leben die trifft man ganz bewusst. Ich kaufe mir die blaue Bluse, nicht die grüne. Doch ich war durch einen Schicksalsschlag dort gelandet. Ich hatte das Seminar aufgrund eines sehr tief sitzenden Bedürfnisses ausgewählt, nicht weil mir jemand dazu geraten hätte oder es mir empfohlen hatte. Und wie war es zu diesem Schicksalsschlag gekommen? Weil ich mit einer Person unterwegs war, die ich kennen gelernt hatte über einen ehemaligen Arbeitskollegen, der nur mein Arbeitskollege war, weil ich den Job meiner Lieblingsfirma verloren hatte… Ich denke ihr erkennt wohin meine Gedanken gingen. Sehr weit zurück bis in meine Kindheit. Entscheidungen die zu Situationen geführt haben, die zu Entscheidungen geführt haben,…. Der Fluß des Lebens….

Und dann kam das Bild der kleinen Seele wieder hoch. Und eines wurde mir bewusst. Ich habe sie echt unterschätzt. Die kleine empfindliche Seele hätte den Schicksalsschlag nicht so leicht weggesteckt…. Vielleicht war sie gar nicht so klein? Vielleicht war sie die Starke? Ich und auch viele anderen hielten mich schon vor zwanzig Jahren für eine starke Person. Doch wir hatten keine Ahnung, was da noch Potenzial in mir steckt. Vor zwanzig Jahren war ich hart im Nehmen, aber auch sehr abgegrenzt. Ich habe die Leute nicht an mich rangelassen damit sie mich nicht verletzten können. Mittlerweile lasse ich sie ran und wenn sie mich verletzen stehe ich wieder auf und gehe weiter.

Ich bin mit mir im Reinen und wenn ich es mal nicht bin, dann ändere ich wieder etwas. Ich hadere nicht mehr mit meinem Schicksal, ich habe es angenommen und kann es größtenteils sogar genießen. Ich versuche mein Leben zu genießen und zwar so wie es MIR gefällt. Mir ist egal was andere denken oder sagen. Und ich sage es nicht nur, es ist tatsächlich so. Es ist da mittlerweile eine Ruhe in mir, die ich enorm liebe.

Nach ca. drei Stunden hatte ich dann das Bild einer kleinen Göttin im Lotussitz vor mir die mir zublinzelte. Ich glaube die kleine Seele ist erwachsen geworden!

Danach gönnte ich mir wieder ein wenig mehr auf meine Umgebung zu achten. Vor allem begannen da auch schon die Schmerzen in meinem Rücken. Wie immer bei langen Wanderungen hat sich die Scoliose gemeldet. Bei jedem Halt machte ich so meine Übungen und versuchte die Muskeln zu trainieren, von denen ich mittlerweile weiß, dass sie sie im Zaum halten können!

Der schönste Halt war übrigens unsere Mittagspause bei einem der dort üblichen riesigen moosüberwachsenen Granitsteine. Im vorigen Jahrtausend hatte dort jemand das „Vater Unser“ eingemeiselt und ja, es ist defintiv ein Kraftplatz! Was ich dort auch lernte, es gibt etwas dabei kann ich defintiv nicht achtsam sein. Ich kann achtsam einen Apfel essen, kann achtsam eine Tür öffnen, kann achtsam durch den Wald gehen, aber ich kann nicht achtsam in den Wald pinkeln! Normalerweise vermeide ich es sowieso aber bei fünf Stunden ohne Einkehr, geht es halt nicht anders…. Nur achtsam war das überhaupt gar nicht. Der Versuch den Hintern nicht ins feuchte Gras zu halten und gleichzeitig nicht in die Hose zu machen, hatte defintiv nichts mit Achtsamkeit zu tun!

Kurz vor Ende kamen wir dann noch ganz überraschend bei einem kleinen See vorbei. Das andere Ufer lag im Nebel und es stand nur ein Baum dort der aussah als wäre er abgebrannt. Ganz die Horrorfilm-Kulisse und etwas was ich normalerweise gar nicht mag. In der Gruppe war ich aber einfach nur fasziniert und konnte den Blick kaum davon abwenden. Auf dem Rückweg kamen wir auch bei Geri dem Walkauz vorbei. Die letzte Station unserer Rätselralley im Juli! Und schwupp war die Erinnerung wieder da als ich den Weg das letzte Mal gegangen war. Allerdings war ich schon hundemüde und mein Rücken schmerzte. Die Emotionen mussten also warten! Beim Rückweg entdeckte ich dann auch den Garten der Akademie, da wir dort reingingen.

Nach der Wanderung brauchte ich dann mal ganz dringend eine Dusche und danach machte ich meine Übungen für meinen Rücken, der fühlte sich echt an als würde er in Flammen stehen. Aber wie gesagt kenne ich das schon. Ich weiß, dass das auch wieder vorbei geht. Eine Stunde am Bett zum Ausruhen ging sich auch noch aus, dann gab es Abendessen. Vor dem Abendessen kaufte ich mir auch noch einen Meditationspolster und eine Nackenrolle am Flohmarkt und probierte das Zedernholzklo aus. Danach ging ich in das Hotel wo wir vor ein paar Wochen gewohnt hatten, da dort das Abendessen serviert wurde. Das Essen schmeckte trotzdem ausgesprochen lecker und ich fühlte mich total wohl.

dav

Was ich wirklich toll fand war die Stille beim Essen. Sie hatten bei der Organisation darauf geachtet dass wir alleine essen können. Die anderen Kurse kamen erst später. Man hörte wirklich nicht viel. Ausser das Geklimper des Geschirrs und die Köche in der Küche. Am Weg zum Essen mussten wir zwar raus – wo es auch schon ordentlich regnete – aber das Stück konnte man auch mit dem Regenschirm gehen. Danach legte ich mich gleich nochmal hin und um 19 Uhr begann dann die Abendmeditation.

3×25 Minuten zazen und dazwischen gehen. Ihr kennt das ja schon! Doch schön langsam zeigten sie Strenge. An diesem Abend lernte ich, dass ZEN eigentlich sehr streng ist…. Das Sitzen sollten wir ganz ruhig ertragen. Kein Herumgewusel, kein Nase kratzen, keine Zehen bewegen, absolute Ruhe war das Motto! Wir haben übrigens auch gechantet! AOM-Meditation. Das „M“ lies meinen ganzen Körper vibrieren! Funktioniert übrigens nur wirklich gut, wenn du beide Knie am Boden hast…..

Als ich mich setzte stand mein Rücken in Flammen, das war aber nicht von Dauer. Der Schmerz wanderte bald in Richtung Beine! Beim ersten Mal schaffte ich es wieder nicht. Es tat einfach zu sehr weh. Ich war fertig, müde und hatte keine Bock mehr auf Schmerzen. Dann sagte er etwas, wo ich mich total angesprochen fühlte – und ich war nicht die einzige wie ich am letzten Tag erfahren sollte! „Haltet den Schmerz aus dann werdet ihr eine große Kraftquelle kennen lernen“. Und ich dachte so bei mir. Sch… der meint mich. Ich muss das jetzt echt mal schaffen und vor allem was kann mir schlimmstenfalls passieren. Ich komme nicht mehr auf. Dann sind hier noch 40 Menschen die mir aufhelfen oder schlimmstenfalls den Notruf wählen können. Ich zieh das jetzt durch!

Ich wusste gar nicht wie lange 25 Minuten sein können…. Die ersten 10 Minuten – ca. – war gar nichts. Ich saß regungslos wie eine Statue da und bewegte mich keinen Milimeter. Auch nicht meine Zehen unter der Decke. Dann spürte ich wie mein Bein begann einzuschlafen. Die ersten 5 Minuten gehen da auch noch. Du spürst einfach immer weniger. Dann fängt der Schmerz an. Alles was du willst ist das Bein ausstrecken. Ich begann zu tun was er uns gesagt hatte. Wenn der Schmerz kommt versuche ihn auszuatmen. So wie es ja auch Schwangeren geraten wird. Wer hat sich das eigentlich einfallen lassen? Ja gut, das atmen ist vielleicht gut gegen schreien, aber den Schmerz hat es mich nur kurzfristig vergessen lassen! Danach kam er wieder retour. Also weinte ich. Laut- und tränenlos. Ich kann nicht erklären wie sich das anfühlte. Ich hatte das Gefühl ich weine, doch es kamen keinen Tränen und auch kein Schluchzen. Dabei schloss ich dann auch das erste Mal die Augen. Ich zog mich ganz tief in mich zurück und konzentrierte mich darauf den Schmerz auszuhalten. Was ich auch schaffte! Danach konnte ich zwar wirklich nicht aufstehen, aber irgendwann ging sogar das wieder.

Beim dritten Mal an diesem Abend versuchte ich es nochmal und scheiterte ca. drei Minuten vor dem Ziel. Zufrieden war ich trotzdem. Einmal geschafft und einmal fast! Das war weit mehr als am Abend zuvor.

Danach fiel ich übrigens in einen tiefen, traumlosen Schlaf und erwachte erst wieder um 6 Uhr morgens mit dem Wecker… Nach der Abendmeditation war vor der Morgenmediation.

© Libellchen, 2018

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