Als Kind war ich nie alleine. Ich war unter 24-Stunden-Dauerüberwachung, ohne das kleinste bisschen Privatsphäre. Ich hatte kein eigenes Zimmer, unsere Räume hatten keine Schlüssel. Noch nicht mal das Bad konnte man zusperren. Und so kam Omi meistens ins Bad, während ich gerade am Klo saß. Gut mit 6 Jahren ist das nicht so tragisch, aber mit 15….Wenn ich als Kind alleine sein wollte, legte ich eine große Decke über den Esstisch und verkroch mich darunter. Ich konnte meine Großeltern zwar hören, doch sie konnten mich nicht sehen. Ein sehr kindlicher Ansatz, der auch als ich älter wurde, jeden Reiz verlor.
Meine Großeltern waren immer und überall. Bis ich 14 wurde, brachten sie mich zur Schule und holten mich auch wieder ab. Ich durfte keinen Schritt alleine tun. Mit 14 kam dann der Wandel, als ich mit dem Zug plötzlich alleine in die höherbildende Schule fahren musste, eine Stunde entfernt. Dort musste ich durch die ganze Stadt, um in die Schule zu kommen. So richtig darauf vorbereitet wurde ich nicht. Wir fuhren die Strecke mit dem Auto ab und so wusste ich wo es langgeht. Doch Auto und Zug ist dann nochmal was ganz anderes.
Und so näherte ich mich zitternd vor Angst an meinem ersten Schultag der Zug-Haltestelle. Ich hatte ja keine Ahnung wie man die Zugtür öffnete! Doch ich war Gott sei Dank nicht alleine. Auch andere Schüler fuhren mit demselben Zug und die kannten sich damit aus. Also lernte ich durch Beobachtung. Immer ein paar Schritte hinter den anderen, schaute ich zu wie so taten. Dasselbe dann in der Stadt. Immer schön den Älteren nach und schauen, wie sie sich an den großen Kreuzungen mit den Ampeln so tun!
Das war eine sehr unangenehme Zeit für mich. Ich kam mir vor wie ein Volltrottel – was ich auch war – und versuchte mit aller Macht zu vermeiden, dass andere auch mitbekamen, wie dämlich ich mich oft anstellte. Natürlich bekamen sie alles mit, was mich zum optimalen Opfer für Spott machte. Gegen diesen hatte ich auch nie gelernt mich zu verteidigen, worauf ich mich immer mehr von meinen Mitschülern zurückzog. Ich war mal wieder allein, unter vielen Menschen. Wie auch oft zu Hause. Wo zwar immer wer da war, aber ich trotzdem allein war.
Damals hätte ich mir nie träumen lassen, was ich mal alles alleine bewältigen würde. Ich habe mir das nicht bewusst so ausgesucht, doch ich habe gelernt es zu akzeptieren. Wenn ich wirklich etwas will, muss ich es halt auch alleine umsetzen. Alleine wandern, alleine schwimmen, ein Wochenende alleine in der Therme, voriges Jahr war ich auch schon ganz alleine fort – Dorffest, alleine bei einem kleinen Konzert und jetzt kommt noch ein größeres Konzert – wieder allein. Für die meisten Menschen mag das nichts Besonderes sein. Für mich schon. Ich habe es nie gemocht, wenn ich alleine wo hingehen muss. Wenn ich wo fremd bin und niemand kenne. Das liegt mir nicht. Aber was soll man machen, wenn niemand einen begleitet? Dann kann man es lassen oder es alleine umsetzen. Ich habe mich für letzteres entschieden!
Na dann, neues Jahr, neues Glück!
© Libellchen, 2015