Ein Leben ohne Reserven

Ich bin bei Menschen groß geworden, welche in der Zwischenkriegszeit geboren wurden und den zweiten Weltkrieg voll miterlebt haben. Opi an der Front, Omi den Hunger zu Hause. Ich glaube meiner Großmutter ja nicht mehr wirklich viel, wenn sie mir etwas erzählt – zu oft hat sie mich angelogen – doch dass sie Armut kennt, das glaube ich ihr. Umsonst wäre sie nicht so ein sparsamer Mensch gewesen. Hatte sich nie etwas geleistet und mich ebenfalls dazu genötigt. Obwohl damals bereits Geld da war, wurde es nur für das allernötigste ausgegeben. Der Rest landete auf diversen Sparbüchern, die in den Kästen in der Wohnung versteckt waren. So fand man beim Aufräumen immer mal wieder Geldreserven. Wenn man als Kind so groß gezogen wird, dann prägt das. Thomas sagt immer zu mir ich sei ein „Sparmeister“. Naja, da hat er sicher nicht ganz Unrecht. Obwohl ich Geld ausgeben mittlerweile gelernt habe.

Zurzeit habe ich nur das was jeden Monat eingeht. Keine Reserven, naja fast keine. Ich habe schon noch einen „Notgroschen“ von ein paar hundert Euro – für meine Verhältnisse ist das aber gar nichts! Ich bin eine eiserne Reserve von mindestens € 2.000,– gewohnt, € 3.000,– sind noch besser. Natürlich war das nicht immer so. Ich habe auch früher schon oftmals am Limit gelebt, wo ich keine Reserven bilden konnte – einfach weil das (Über-)Leben zu teuer und ich zu wenig verdient habe. Auch heute gibt es genug Menschen denen es so geht, wie mir früher, die haben nicht wirklich eine Wahl, als am Limit zu leben. Doch es gibt auch Menschen, die einfach nicht mit Geld umgehen können. Das beste Beispiel dafür ist Anabel. Sie lebt an einem Limit, wo ich noch nie war – auch als ich weit weniger verdient habe, als sie jetzt.

Sie lebt am Limit ihres Überziehungsrahmens. Dieser Überziehungsrahmen ist für mich eine Reserve die ich bisher noch nicht oft gebraucht habe und voll ausgereizt habe ich ihn überhaupt noch nie. Denn wenn es irgendwie ging, sparte ich – auch wenn dies Verzicht bedeutete. Wohnung und Nahrung war Priorität 1, Finanzierung der Anreise ins Büro (Tank bzw. Zugkarte) war Priorität 2, absolut notwendige Kleidung Priorität 3, danach wurde gespart und wenn ich eine Reserve hatte, dann leistete ich mir auch mal was anderes – aber erst dann!

Und damit kann und konnte ich immer gut leben. Ich habe mich schon mal Wochen von Suppe und Tee ernährt und Geld auf die Seite gepackt und genau dieses Geld ist in meine neue Wohnung geflossen. Doch das bin ich, geprägt durch meine Erziehung und mein offenes Wurzelzentrum. Mir kann man leicht materiellen Druck machen, wenn ich Reserven haben, bin ich dagegen geschützt. Anabel lebt da ganz anders. Ob sie damit gut oder schlecht lebt, will ich nicht beurteilen. Unvernünftig halte ich sie auf jeden Fall und tauschen möchte ich auch nicht müssen. Doch natürlich ist es ihr Leben und ihr Verhalten mit Geld ist genau dasselbe wie mit ihren Stunden auf der Zeitkarte – also dürfte das auch eine Erziehungssache sein….?

Was ist so „schlimm“ an ihrer Situation dass ich mich jedes Mal freue, dass mein Leben ganz anderes aussieht? Kurz vorm 15. – an dem wir unser Gehalt bekommen – braucht sie jeden Monat einen Bankweg. Zuerst dachten wir, sie will nur Stunden schinden, doch mittlerweile wissen wir, dass sie wirklich auf die Bank geht. Sie muss laut eigener Aussage „Bei ihrer Bankbetreuerin Geld besorgen“. Und dabei reden wir von € 50,– bis € 100,– – auch laut eigener Aussage. Also wenn ich meine Bankbetreuerin wegen € 50,– anhaue, fragt sie mich ob ich wo gegen gelaufen bin und schickt mich zum Bankomat. Allerdings bekomme ich dort auch was…. Und ich habe ja auch einen nicht ausgeschöpften Überziehungsrahmen. Gut jetzt kann man sagen sie ist alleinerziehende Mutter und braucht ihr Geld für ihr Kind, doch da sind noch 3x im Jahr Urlaub im Ausland und ein Leasing-Audi. Also bevor ich jeden Monat um Geld „bettle“ auf der Bank, fahr ich einmal weniger in Urlaub, oder fahr einen Gebrauchtwagen… Wie gesagt, grundverschieden.

Dasselbe ist es mit der Zeitkarte. Ich baue gerade Plusstunden auf, damit ich zu Weihnachten 2 ½ Wochen auf Gleitzeit zu Hause bleiben kann. Sie gurkt immer zwischen minus 12 und minus 19 Stunden 55 Minuten rum – 20 Stunden minus ist das Limit! Und ihre letzten Urlaubsstunden hat sie auch per 1. September verbraucht. Das heißt sie müsste jetzt bis Weihnachten durcharbeiten. Und die 8 Stunden für den 24. und 31. Dezember (jeweils 4) muss sie auch noch aufbauen – die muss sie wirklich aufbauen, ansonsten könnte sie über den Jahreswechsel natürlich auch arbeiten gehen. Also wenn mir spontan etwas dazwischen kommt, kann ich wählen zwischen Stundenabbau von der Zeitkarte oder von Urlaub – hab ich auch noch 2 Wochen über. Wenn ihr etwas dazwischen kommt, kann sie sich krank melden oder Pflegeurlaub nehmen. Heißt konkret, wenn z.B. ihr Auto zickt, muss sie uns anlügen und wir wissen das! Und irgendwie steht sie somit unter Generalverdacht. Letzten Freitag hat sie sich mit Migräne krank gemeldet. Das kann ich glauben, oder auch nicht….

Bin ich froh dass ich so nicht leben muss! Das einzig gute das mir meine Großmutter mitgegeben hat, ist meine Sparsamkeit. Das bilden von Reserven habe ich von ihr gelernt und wenn ich mir Anabels Leben so anschaue, bin ich meiner Großmutter sehr dankbar dafür!

© Libellchen, 2014

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