Vorige Woche ist etwas Tolles passiert. Ich bekam eine Freundschaftsanfrage auf Facebook. Von jemanden den ich erstmal nicht erkannte. Der Name war falsch und das Foto war „gemein“. Es zeigte zwar ein Gesicht, allerdings mit einer Kapuze, so dass man die Haare nicht sehen konnte und die Person hatte keinen Bart – sein „Erkennungszeichen“. Jetzt nehme ich normalerweise keine Freundschaftsanfragen von „Fremden“ an, doch irgend etwas an dem Foto hielt mich davon ab, die Anfrage abzublocken – wahrscheinlich waren es die Augen die ich erkannt habe. Ist auch das mindeste von mir!
Als ich nach Hause kam, schnappte ich mir den Laptop und schaute mir das Profil der Person an und dabei entdeckte ich auf den Fotos einen alten Bekannten – die einzige Konstante. Da reifte in mir ein Verdacht, sollte das wirklich ER sein. Also schaute ich mir das Profilbild mit einem anderen Foto – mit Bart und Haaren – parallel an. Und tatsächlich dieselben Augen! Er war es wirklich! Ich hatte schon oft nach ihm gesucht, aber da er mit falschem Namen angemeldet war, war meine Suche natürlich nicht erfolgreich gewesen. Er hatte es einfach probiert – da ich kein Foto von mir als Profilbild habe, hätte er auch falsch liegen können – da wir einen gemeinsamen Freund hatten.
Wer war er? Mein ältester Freund. Der Mann der mich wahrscheinlich am besten kennt – zumindest bis vor 10 Jahren als wir uns aus den Augen verloren haben. Er war einen sehr langen Weg mit mir gegangen. Wir haben sehr viel zusammen durchgestanden. Er war da für mich als mich andere hänselten, er war da als ich eine 180 Grad Drehung in meinem Leben gemacht habe, er war da als mich Freunde fallen ließen, er war da wenn ich nach zu viel Party mich übergeben mussten, er brachte mich nach Hause, wenn ich nicht mehr wusste wo ich wohnte, er hielt mich im Arm wenn ich traurig war, er betrank sich mit mir wenn ich depressiv war, er war eigentlich immer da. Seit unserem ersten Treffen, in der ersten Stunde Volksschule.
Er war der liebe, lustige, extrovertierte Junge. Ich war das schüchterne, zurückhaltende, introvertierte Mädchen. Und er war der erste und einzige Junge, der mich zu Hause besuchen durfte. Es war ein Projekt in der Volksschule wo wir im Team etwas aufführen sollten. Natürlich wurde ich von niemand erwählt, außer von ihm. Er wollte die Aufführung mit mir machen und so kam er zum Üben zu mir nach Hause – ich hätte niemals zu ihm gehen dürfen! In der Hauptschule war er noch immer der lustige Junge. Ich war zur Streberin aufgestiegen. In der Hauptschule teilten sich meine Mitschüler – es waren dieselben wie in der Volksschule – in 2 Gruppen. Jene mit denen ich klar kam, was abgezählt 5 Personen waren, davon 2 Jungs, wovon einer schwul ist – was ich allerdings erst seit 2 Jahren „weiß“. Der andere Junge war ER, nennen wir ihn Tim. Der Rest der Klasse schnitt mich im besten Fall, im schlimmsten Fall mobbten und verprügelten sie mich.
Mit 16 zog ich bei meinen Großeltern aus und fing an fort zu gehen. Damals war ich schon in einer anderen Schule und hatte Tim 2 Jahre nicht gesehen – ich durfte ja bis dahin nirgendwo alleine hin, außer zur Schule. An meinem ersten Abend wo ich mit meinem Stiefbruder fortgehen durfte, lief mir nach 5 Minuten Tim über den Weg – wäre er das nicht, wäre mein Leben gaaaaaaaaaaanz anders verlaufen. Er führte mich in das soziale Leben in unserem Ort ein – was heißt er zahlte mir mein erstes Cappy Wodka! Und das zweite und das dritte,…. Irgendwann lernte ich dann die ersten Menschen kennen und knutsche auch gleich am ersten Abend mit einem sehr viel älteren Typen rum – mein allererster Kuss übrigens!
Von da an, war Tim immer da. Ich habe Millionen Erinnerungen in denen er auch vorkommt. Wir hingen in derselben Clique ab, obwohl ich mich mehreren Cliquen rumtrieb. Damals hatte er sich bereits verändert gehabt. Er war zwar immer noch lustig, doch sein Aussehen war bereits „böse“. Heavy Metal halt. Ich bin ja eher der Pop-Typ. Doch in seinem Auto lernte ich auch andere Musik kennen. Es störte mich nicht. Er war immer schon ein Mann gewesen bei dem ich mich anlehnen konnte. Nicht nur im übertragenen Sinn. Bei ihm konnte ich mich jederzeit anlehnen und er nahm mich in den Arm – egal wer dabei war. Er stand immer zu unserer Freundschaft und lies sich auch nie davon abbringen. Wir waren irgendwie immer wie Tag und Nacht gewesen. Er der Extrovertierte, Ich die Introvertierte. Er der Böse, Ich die Brave. Er Heavy Metal, Ich Pop. Er lustig, Ich depressiv.
Doch was ich über uns über die Jahre lernte. Wir waren uns viel ähnlicher als die Menschen sehen konnten. Doch sie konnten es auch nicht wissen, da wir es ihnen auch nicht zeigten. Er war gar nicht so lustig – vielmehr war er nicht minder depressiv als ich, wenn nicht sogar mehr – übertünchte es allerdings mit Lustigkeit. Ich war gar nicht so introvertiert wie ich dachte, doch erst mit ihm, machte ich langsam auf. Er war nicht böse, gab sich nur gern so und ich bin gar nicht so brav, wie alle dachten! Okay die Musik, ja da sind wir wirklich unterschiedlich. Allerdings war ich sowieso ein paar Jahre mit einer Heavy Metal Band unterwegs, von daher war ich an die Musik gewöhnt…..
Jetzt wo er wieder da ist, kommen alle Erinnerungen wie ein Schwall wieder. Als wir beide an einem Abend mit einem Geschwisterpaar zusammen gekommen sind und danach im selben Haushalt ein- und ausgingen. Er schlief im ersten Stock bei seiner Freundin und ich im Erdgeschoß bei meinem Freund und zum Frühstück saßen wir alle zusammen am Frühstückstisch.
Die Wohnung unseres gemeinsamen Freundes, wo immer ca. 10 Leute abhingen um ihren Familien aus dem Weg zu gehen, wo „Sieben“ im Fernsehen lief, immer 2 Kisten Bier und was zu rauchen vorhanden war. Wo wir 1997 die ersten Chatversuche unternahmen in diesem neuen Internet, oder wie das hieß.
Wenn wir uns aus Lokalen, wo es fad war, fort schlichen um in seinem Auto eine Doppler zu trinken oder was zu rauchen, um dann lustig zurück zu kommen.
Die Momente wenn er bei so Stunden im Auto seine Fassade lüpfte und mir den verletzlichen Jungen dahinter zeigte. Wenn ich ihn, oder er mich in den Arm nahm um Trost zu spenden. Wie er mich tröste wenn ich zu Weihnachten nicht wusste wohin, weil ich es zu Hause nicht aushielt. Und natürlich später dann, als wir dann schon älter waren, der Sex. Ja wir haben miteinander geschlafen, auch wenn wir nie zusammen waren. Immer wenn wir beide Single waren, hatten wir einander. Und wenn einer von uns in einer Beziehung war, waren wir wieder nur Freunde. Das ging 8 Jahre gut – meine längste (Nicht-)Beziehung überhaupt!
Ich könnte ewig so weiter schreiben. Wie gesagt niemand kennt meine Vergangenheit so gut wie er. Er hat mich die längste Zeit überhaupt begleitet. Von 6 bis ca. 26. Danach verloren wir uns aus den Augen. Die prägensten Jahre hat er nicht nur mitbekommen, sondern mitgeprägt! Er war so extrem wichtig für meine Entwicklung und ich habe ihn schrecklich vermisst. Schön dass er wieder in meinem Leben ist!
© Libellchen, 2014