Als ich noch relativ jung war, lernte ich so wenig wie möglich aufzufallen. Je unauffälliger ich war, desto weniger wurde ich gehänselt. Ich war lange Zeit das Mäuschen in der Ecke, dass anderen den Vortritt lies. Der Mittelpunkt war nie mein Ziel. Den Platz überlies ich liebend gern anderen. Ich mag es nicht wenn mich Menschen anstarren und etwas von mir erwarten. Referate und mündliche Prüfungen waren immer der Horror für mich, Schweißausbrüche und Magenkrämpfe inklusive.
Irgendwann wurde ich älter und wäre schon gerne mal aufgefallen. Zumindest den Jungs. Doch so einfach war das für mich nicht. Ich hatte zwar eine recht passable Figur, doch die Ausstrahlung eines Mauerblümchens. Bis ich den Alkohol entdeckte. Der lockerte mich auf und lies mich mutig werden. Ich begann aufzufallen, allerdings nie nüchtern. Doch das war egal. Einmal aufgefallen, kannten mich die Menschen und ich wurde auch nüchtern beachtet.
Zwischen 25 und 30 lernte ich auch ohne Alkohol mich zu amüsieren und ab 30 zog ich mich aus dem Partyleben schön langsam zurück. Und ich nahm in der ganzen Zeit zu. Immer mal wieder ein paar Kilo. Über die Jahre kam da schon einiges zusammen. Und mit jedem Frustkilo das ich mir auf die Hüften futterte, wurde ich wieder zum Mäuschen. Ich zog mich in mein Schneckenhaus zurück.
Im letzten Jahr habe ich wieder abgenommen. Und plötzlich falle ich wieder auf. Die Menschen sprechen mich entweder direkt darauf an, oder reden über mich. Am Freitag hat mir ein Kollege und Freund erzählt, dass ihn schon wieder eine Kollegin auf meinen Gewichtsverlust angesprochen hat. Warum sie ihn gefragt hat, weiß ich zwar nicht, doch ich habe mich darüber gefreut. Ich falle auf und freue mich auch noch darüber. Das ist zwar nicht neu, aber diesmal hat es nichts mit meiner lockeren Art unter Alkoholeinfluss zu tun. Diesmal bin es einfach nur ich.
Schön!
© Libellchen, 2013