Zornpinkerl

Ich kann mich noch erinnern dass ich als Kind oft zornig war. Doch gebracht hat es mir nie etwas. Wenn ich bei meinen Großeltern geäußert habe, dass ich auf etwas wütend sei, war es ihnen schlichtweg egal. Meine Befindlichkeiten interessierten sie einfach nicht. Ein Kind braucht ein Dach über dem Kopf, Essen im Magen und Kleidung zum Anziehen. Alles andere ist nicht notwendiger Luxus. Meine Spielsachen waren die von meiner Mutter und meinen Onkeln. Meine Kleidung war Minimalausstattung – 2 Jeans und 5 gleich aussehende T-Shirts. Dazu kamen zumeist fettige Haare und Turnschuhe.

Um mein „Leiden“ komplett zu machen, war ich unter Totalüberwachung. Ich wurde zur Schule gefahren und abgeholt. Alle anderen fuhren in dem 2.500 Einwohnerort mit dem Rad oder gingen zu Fuß. Ich wurde chauffiert. Denn alleine zur Schule zu gehen – da hätte ja etwas passieren können. Ich weiß wo all dies herkommt, doch darum geht es heute nicht. Ich hatte immer für alles Verständnis, doch meine Wut hatte nie jemanden interessiert. Ich war alleine. Ich hatte keine Freunde. Ich wurde gemobbt. Und ich hatte keine Chance da raus zu kommen. Und wenn ich erzählen wollte, dass ich darunter litt, hat es meine Großeltern nicht interessiert. Über Gefühle wurde einfach nicht geredet. Das machte mich zornig. Was auch wieder niemand interessierte.

Und so hörte ich irgendwann auf dafür zu kämpfen was ich wollte und ergab mich meinem Schicksal. Wut kostete so viel Kraft und brachte mir nichts. Doch auch wenn ich sie nicht mehr zeigte, so war sie doch da. Im Laufe der Jahre habe ich das Verhalten perfektioniert. Ich habe den Punkt des wütend seins einfach übersprungen. Wenn mich jemand oder etwas wütend machte, schluckte ich es einfach runter und überlegte warum ich verletzt worden bin. Und ich fand immer eine Entschuldigung für das Verhalten der anderen. Sie meinte es ja nicht böse, sie wollten mir damit nicht weh tun,….

Doch trotz allem tat es weh. Machte mich wütend. Doch ich lies das Gefühl der Wut nie raus. Letztens hat jemand mir gegenüber die Redewendung „dem Schmerz Raum geben“ verwendet. Nun, ich denke ich werde meiner Wut mal Raum geben. Und zwar all der aufgestauten Wut der letzten 35 Jahre. Ich werde mal aufschreiben was mich in meinem Leben wütend gemacht hat und zwar unabhängig davon ob mir jemand damit weh tun wollte oder nicht. Denn auch wenn man mir nicht weh tun will, heißt das ja lange noch nicht, dass es nicht trotzdem weh tut. Ich will mir nicht mehr immer nur Ausreden für das Verhalten anderer suchen, ich werde zu all den Verletzungen stehen, die ich erlitten habe. Nicht um jemanden etwas vorzuwerfen, sondern einfach nur um meiner Wut den Raum zu geben, den sie offensichtlich braucht…..

© Libellchen, 2013

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