Absturz

So toll das letzte Wochenende auch war, so gab es doch einen Moment, der mich zum Nachdenken brachte. Ich habe jemanden gesehen und war bei dessen Anblick total schockiert. In der Schule war er der Schwarm aller Mädchen. Seine Augen hatten immer so ein erwartungsvolles Glitzern und seine Grübchen ließen die Mädels scharenweise dahin schmelzen. Er hatte als erster eine Freundin, war immer gut drauf, charmant und umschwärmt.

Davon ist nichts mehr zu sehen. Ich musste zweimal hinschauen ob er es wirklich ist, doch seine markanten Züge sind einfach unverwechselbar und er kam aus dem Haus in dem seine Mutter noch immer wohnt. Doch da war kein Glitzern mehr in den Augen und keine Grübchen. Der Blick war leer und ausdruckslos. Sein Aussehen trieb mir die Gänsehaut auf die Arme. Natürlich hatte ich eine Vermutung was ihn so verändert hat, und ein gemeinsamer Bekannter hat kurz danach meinen Verdacht bestätigt.

Ich bin mit 19 damals aus einem ganz speziellen Grund von meinem Heimatort abgehauen. Ich hatte Angst abzustürzen. Ich bin rechtzeitig gegangen, er nicht. Er ist in dem Drogensumpf geraten, dem ich mit Müh und Not entkommen war. Die schwerste Entscheidung in meinem Leben, hab ich damals mit 19 Jahren nach dem ich mit der Schule fertig war, getroffen. Ich habe mein Leben, meine Freunde und meinen Freund zurück gelassen, um nicht abzustürzen. Es war nicht leicht damals. Doch es war sicher richtig.

Ich habe seitdem immer wieder Hiobsbotschaften von meinen ehemaligen Freunden erhalten. Einer ist fast gestorben, einer ganz, einer wurde obdachlos, einer depressiv, einer eingesperrt. Es war immer wieder ein Schock. Für mich war es mit 19 nicht leicht zu gehen. Ich wollte meine Freunde nicht einfach verlassen, doch ich sah keine andere Wahl und mit jeder Hiobsbotschaft, fühlte ich mich bestätigt. Ich hatte richtig gehandelt. Ich hatte das für mich einzig richtige getan. Doch von Schicksalen zu hören oder in dieses leere Gesicht zu blicken, ist noch mal was anderes.

Es hat mich echt geschockt und es tut mir leid um den strahlenden Jungen von damals. Ich habe den Schauer der mir bei dem Anblick über den Rücken lief am Sonntag in der Sonne vertrieben. Doch ich verstehe immer noch nicht, warum so viele tolle Menschen in den Drogensumpf geraten und abstürzen konnten. Dabei konnte ich zusehen. Ich war 3 Jahre von Menschen umgeben, die sich teilweise täglich aus dem Leben schossen. Das war echt keine schöne Zeit, doch sie gehört zu meinem Leben. Sie ist ein Teil von mir, ein sehr großer sogar.

Seit ich damals sehen konnte, wie die Menschen schrittweise ihren eigenen Untergang einläuteten, bin ich toleranter gegenüber abhängigen Menschen. Für mich sind abhängige Menschen krank. Ich verurteile sie nicht, aber ich will ihnen auch nicht unbedingt helfen. Ich bin damals gegangen um der ganzen Stimmung zu entgehen. Ich konnte mit den vorherrschenden Emotionen einfach nicht umgehen. Ich bin nicht dazu geboren um Süchtigen zu helfen.

© Libellchen, 2012

2 Kommentare zu “Absturz

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