Umsicht

Mein Leben lang hat mich die Umsicht begleitet. Ich habe bei allem was ich getan habe, berücksichtigt was das für Auswirkungen auf andere Menschen haben kann. Was mir im Straßenverkehr schon sehr oft das Leben gerettet hat, hat mir mein Leben im privaten Bereich oft sehr mühsam gemacht. Vieles habe ich nicht getan oder gesagt, weil ich davon ausgegangen bin, dass ich mein Gegenüber damit in Bedrängnis bringe.

Zum einen ist die Umsicht ein Teil von mir, zum anderen wurde sie durch meine Erziehung noch verstärkt. Ich wurde mit dem Wissen erzogen, dass wir arm sind. Und so habe ich nie Wünsche geäußert, weil ich damit ja meine Großeltern in Verlegenheit gebracht hätte, wenn ich mir was gewünscht hätte, was wir uns nicht leisten konnten. Und dabei meine ich keine großen Dinge. Ich habe nie gesagt wenn ich etwas gewollt habe. Ich habe nie um etwas gebeten. Weder um einen Schokoriegel, noch um einen neue Jeanshose. Ich wurde mit Entbehrungen groß gezogen und habe erst mit knapp 30 Jahren gelernt, dass es nichts Schlechtes ist, wenn ich mir selbst auch mal was leiste.

Lange Zeit hat die Umsicht mein Leben bestimmt. Ich habe mich immer zurück genommen, wenn ich annehmen musste, dass mein Gegenüber durch einen von mir geäußerten Wunsch, möglicherweise mehr Arbeit oder andere Unannehmlichkeiten hat. Natürlich weiß ich rückblickend nicht, ob ich meinen Mitmenschen wirklich Unannehmlichkeiten erspart habe, ich weiß jedoch auf jeden Fall, dass ich mich in meinem Leben selbst sehr beschränkt habe. Das ging sogar so weit, dass ich noch nicht mal gesagt habe, was ich will, wenn mich Menschen explizit danach gefragt haben.

Im Büro hat mir meine Umsicht schön öfter Probleme beschert, da sie oftmals als Einmischung aufgenommen wird, deshalb hab ich mir das beruflich auch schon länger abgewöhnt. Es war nicht einfach. Ich hatte immer das Gefühl meine Kollegen ins offene Messer laufen zu lassen, wenn ich ein Problem kommen sehe und sie nicht vorwarne. Doch seit ich meine Umsicht im Büro nicht mehr auslebe, habe ich auch weniger Problem damit, dass meine Mitmenschen oftmals einen extremen Mangel an Umsicht an den Tag legen. Ich kümmere mich weder um die Probleme anderer, noch höre ich sie mir an.

Vor kurzem habe ich auch gelernt, dass auf meinen privaten Bereich ein wenig zu übertragen. Im privaten lebe ich zwar meine Umsicht nach wie vor aus, allerdings stark reduziert. Vor allem habe ich abgestellt, mich zurück zu nehmen. Wenn ich etwas will, dann sage ich das auch und ich habe damit bisher auch noch niemanden in Bedrängnis gebracht. Meine Wünsche sind und waren ja nie unverschämt groß. Es sind ja meistens Kleinigkeiten, die mir aber, da ich sie jetzt ausspreche, mein Leben eindeutig erleichtern. Und es ist auch stressfreier geworden. Da ich nun nicht mehr versuche, allen Menschen in meinem Umfeld ihren Stress abzunehmen, ist mein Leben gleich sehr viel entspannter. Ich habe in den letzten Wochen endlich gelernt, dass jeder Mensch seines eigenen Glückes Schmied ist. Ich muss mir nicht den Kopf anderer zerbrechen und mir deren Bürden aufzuladen. Ich bin nur für mich selbst und mein Wohlbefinden verantwortlich. Und wenn andere Menschen mit dem was ich sage oder tue ein Problem habe, dann ist das deren Problem. Es ist keine Lösung Dinge nicht zu tun oder zu sagen, nur weil mir meine Umsicht nahelegt es zu unterlassen, um anderen Menschen das Leben zu erleichtern.

© Libellchen, 2012

2 Kommentare zu “Umsicht

  1. Oh ja, das kenne ich auch. Anderen nur keine Umstände machen, obwohl es ihnen vielleicht sogar Freude machen würde, uns einen Wunsch zu erfüllen.

    Es ist sicherlich sehr gesünder, die eigenen Wünsche klar auszusprechen, aber es erfordert auch viel Übung.

    Alles Liebe und Gute für das Neue Jahr
    wünscht Dir
    Andrea

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