Mittelweg

oder Märtyrer? Genau das war in den letzten Wochen immer wieder Thema. Ich wurde zum Märtyrer erzogen und habe es auch lange Jahre, exzessiv ausgelebt. Ich habe getan was mir gesagt wurde, ich war für alle da, habe mich aufgeopfert für die Gemeinschaft und wie es sich für einen echten Märtyrer gehört, war es der Gemeinschaft egal. Was mich bei meiner Sicht der Dinge, dass das Leben hart und ungerecht ist, bestätigt hat. Mir wurde gesagt, dass es meine Lebensaufgabe sei, sich aufzuopfern, damit es anderen gut geht. Mir wurde gesagt, ich bin das untere Ende der Nahrungskette und werde auch immer dort bleiben. Mir wurde prophezeit, dass ich egal was ich auch tue, ich nie es werden würde. Und ich habe es geglaubt. Doch bei dieser Sicht der Dinge fehlte mir etwas. Mir fehlte der Sinn des Lebens. Meine körpereigene Intuition, war mit dieser Sicht meines zukünftigen Lebens, nicht einverstanden.

Dieses Gefühl, dass da noch was fehlt, trieb mich an. Ich begab mich auf den Weg, denn Sinn meines Lebens zu finden. Und vor kurzem hab ich etwas gefunden, dass mein Leben viel lebenswerter gemacht hat. Genuss! Ich habe begonnen, nicht mehr ganz so viel zu leiden und stattdessen auch ein wenig mein Leben zu genießen. Und prompt erntete ich die ersten bösen Kommentare dazu. Wie kann ich denn auch nur! Ich bin ja noch jung. Mir steht es ja noch gar nicht zu! Ich muss doch zuerst leiden um dann leben zu dürfen. Doch was, wenn ich morgen sterbe? Was wenn ich keine Möglichkeit mehr bekomme, mein Leben zu genießen. Tja, das ist dann halt Pech. Unsere Vorfahren haben doch auch immer so gelebt, also muss meine Generation, dass auch so machen. Wir können doch nicht einfach unser Leben genießen, wo kommen wir denn da hin?!

Nun, ich tu es trotzdem. Ich gehe arbeiten, bin für meine Mitmenschen da wenn es ihnen schlecht geht und ich genieße meine freie Zeit. Ich habe den für mich optimalen Mittelweg gefunden. Ich für mich, bin ausgeglichen. Ich arbeite und ich genieße. Ich schaue auf andere, genauso wie auf mich. Ich gebe nicht nur, ich nehme auch.

Nun gibt es Menschen die mir indirekt vorwerfen, mehr machen zu müssen, um das Gleichgewicht in der Gesellschaft zu halten, da ich mich aus dem Spiel genommen habe. Diese Menschen meinen die Welt retten zu müssen. Sie sind der Ansicht es gibt zu viele Menschen, die nichts zum Allgemeinwohl beitragen und sie müssen das ausgleichen. Auch wenn ich das so krass nie gesehen habe, war ich lange Zeit auf der Seite jener die sich aufopfern. Doch jetzt bin ich einfach ausgestiegen. Jetzt kümmere ich mich um meinen ganz persönlichen Mittelweg. Anfangs hatte ich natürlich ein schlechtes Gewissen. Ich bin jetzt Schuld, dass diese Menschen noch mehr tun müssen. Doch dann hab ich darüber nachgedacht. Wer sagt denn dass die Märtyrer recht haben? Woher wissen sie das denn? Weil es auch ihnen so beigebracht worden ist, als sie klein waren? Und woher wissen dass unsere Eltern?

Wie kommen sie eigentlich dazu, zu glauben, dass sie die Welt retten können? Und wieso kann sich die Welt nicht selber retten? Und interessiert es die Welt eigentlich was wir so tun? Viele Gedanken die durch meinen Kopf schwirrten. Doch das ist nichts Neues bei mir. Doch neu ist, dass ich gelernt habe auf meinen Bauch zu hören. Und mein Bauch ist mit meinem Mittelweg sehr zufrieden. Mir geht es das erste Mal in meinem Leben gut. Ich gehe gerne arbeiten und ich genieße meine freie Zeit. Ich habe mehr Kraft für andere, da ich mehr Kraft in mir habe, da ich glücklich bin. Vielleicht wäre diese Welt auch dann ein schönerer Ort, wenn einfach mehr Menschen es schaffen würden glücklich zu sein.

Doch einem Märtyrer braucht man das nicht erzählen. Ein Märtyrer will gar nicht glücklich sein, denn dann fehlt ihm plötzlich der Lebenszweck. Ein Märtyrer definiert sich über seine Leidensfähigkeit. Je mehr er leidet, desto erfolgreicher ist er. Einen Märtyrer kann man nicht ändern. Ein Märtyrer muss sich selbst ändern wollen. Das einzige was ich tun kann, ich kann den Märtyrern dieser Welt meinen Mittelweg vorleben. Ich kann ihnen nur zeigen, wie es anders geht. Den Schritt vom Märtyrer zum Mittelweg, müssen sie selbst machen wollen. Doch wenn sich ein Märtyrer ändern will, kann ich ihm helfen. Ich bin den Weg selbst gegangen, ich weiß dass man sich ändern kann.

© Libellchen, 2011

8 Kommentare zu “Mittelweg

  1. Märtyrer wie du sie beshreibst, sind für mich Erpresser und Angeber. Sie glauben, dass ohne sie die Welt nicht mehr richtig dreht. Sie sind es gewohnt die Kontrolle haben zu wollen, besonders über die Menschen für die sie sich aufopfern.

    Jeder erwachsene Mensch hat die Fähigkeit für sich selber zu sorgen und diese Fähigkeit wird von Leuten abgesprochen, die ihr Ego durch Hilfen aufpolieren möchten. Die kümmern sich lieber um Andere, als um sich selber. Sie verhindern, dass das hilfsbdürftige Umfeld erwachsen sein kann.

    Also so liest sich das, was du schreibst.
    Märtyrer fordern von Anderen nicht das gleiche Tun, sie tun einfach.
    Menschen mit Kontrollzwang und einem Helfersyndrom helfen und sind aktiv aus reinem Eigennutz.

    Naja das ist einfach mal meine Meinung, die selbstverständlich aus meinen eigenen, subjektiven Erfahrungen erwachsen ist.

    • Hm. Als Erpresser und Angeber empfinde ich die Märtyrer, die ich kenne, eher nicht. Es ist eher so, dass sie sich darüber definieren, dass sie sich aufopfern und meinen, alle müssen das so tun, damit sich die Welt weiter dreht.

      Aber es gibt sicher solche und solche. Mir reichen aber „meine“ Märtyrer!

      LG

  2. Die Aussage: sich aufopfern, sich selber zum Opfer machen, hinterlässt ja schon beim Empfänger einen bitteren Nachgeschmack.
    Diese Menschen erheben sich, sowohl über die, denen sie helfen, als auch über die die anders ticken und denen sie ein schlechtes Gewissen verpassen.
    Sie sind die besseren Menschen?

    • Beim Empfänger hinterlässt es aber nur dann einen negativen Beigeschmack, wenn sich der Empfänger darauf einlässt. Ich habe jahrelang mit einer Märtyrerin zusammen gelebt und hab den negativen Beigeschmack, jahrelang gehabt. Doch mittlerweile habe ich nur mehr Mitleid mit ihr. Sie opfert sich zwar immer noch auf, doch mich interessiert es einfach nicht mehr. Es ist ihr Weg, wenn sie leiden will, bitte schön, aber das ist nicht mein Problem. Deshalb empfinde ich es wahrscheinlich auch nicht als Erpresserung. Es interessiert mich einfach nicht mehr. Wobei, einfach war es eh nicht, diesen Zustand zu erreichen 🙂 Das gilt übrigens auch für das schlechte Gewissen. Entweder lässt man sich eines machen, oder nicht. Wobei, das ist noch schwerer zu lernen, zumindest für mich. 😉

      GlG

  3. Mir ist noch etwas aufgefallen.
    Wir sind alle Herdentiere und laufen für gewöhnlich einer allgemeingültigen Aussage hinterher, es sei denn etwas hat uns dermaßen aufgeschreckt, dass wir im Protest stecken und genau das Gegenteil tun.
    Einer der sich aufopfert steckt im Protest gegen die, die es nicht tun.
    Er folgt damit nicht mehr der Herde.
    Einer der geniessen will, obwohl sein Umfeld ihm Aufopfern auferlegen will, tritt auch aus der Herde raus.
    Die Frage ist, warum tun diese Menschen das, warum müssen sie sich von der Herde unterscheiden? Warum erwarten sie von der Herde dann, dass die Herde sich dem Einzelnen anpasst?
    Dann gibt es ganz viele Menschen, die sich aus der Vergangenheit vorwerfen zu egoistisch gewesen zu sein, die dann plötzlich in so eine aufopfernde Haltung gehen. Jeder hat seinen Grund für sein Tun und jeder tut das, was er tut, um sich besser zu fühlen.
    Ein Märtyrer, der an sich selber denkt, wird erhebliche Schwierigkeiten mit seinem Gewissen bekommen. Er denkt an sich und scchützt sich, indem er genau diesem Vorwurf aus dem Weg geht.

    • „warum müssen sie sich von der Herde unterscheiden?“ – Das ist einfach! Weil das Leben so viel schöner ist. Die Mehrheit = Herde, hat ja nicht automatisch Recht, nur weil sie viele sind. Da fallen mir ganz spontan die Lemminge ein 🙂
      „warum erwarten sie von der Herde dann, dass die Herde sich dem Einzelnen anpasst?“ – Tun sie das? Also mir ist es eigentlich egal was die Herde so treibt 🙂 Ich weil mein Leben genießen und wenn andere leiden wollen – sich aufopfern – sollen sie ruhig! Ist ja, Gott sei Dank, nicht mein Problem 😉

      Und ob wirklich jeder Märtyrer Schwierigkeiten mit seinem Gewissen bekommt, möchte ich mal bezweifeln. Wenn er ein perfekter Märtyrer ist, so wie meine Großmutter, dann schafft er das Märtyrerleben auch 87 Jahre lang 😦 Und so lange der Märtyrer nicht zum Reflektieren anfängt, kriegt er auch keine Probleme. Wobei so Spezialisten wie meine Großmutter, glaube ich zumindest, in der Minderheit sind.

      Wobei ich habe eigentlich keine Schwierigkeiten mit meinem Gewissen, bezüglich der Jahre wo ich als Märtyrer durchs Leben gegangen bin. Warum auch, ich kannte ja nichts anderes. Ich habe mich ja nicht aufgeopfert um andere in irgendeiner Form zu erpressen oder so, sondern, ich dachte ich müsste es so tun, weil das Leben nun mal so ist….

      Ja ich seh schon, ein sehr komplexes Thema, schätze da wird noch ein „Nachbrenner“ kommen 🙂

  4. Die Ursprungsfamilien geben uns ziemlich viel mit auf den Weg und an irgend einem Punkt sind wir alt genug um das alles zu hinterfragen.
    Ziemlich anstrengend, wie ich finde, aber es bleibt wohl nur wenigen erspart.

    Meine Kinder werden es sicher auch nicht einfach haben 🙂

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