Die kleine Seele war am Ende. Sie hatte keine Kraft mehr. Keinen Willen mehr aufzustehen. Und sie merkte, dass sie auch nicht mehr lang funktionieren konnte. Sie war den ganzen Tag kurz davor in Tränen auszubrechen. Sie hatte hoch gepokert und alles verloren. Sie hatte die Liebe gefunden, nur um sie zu verlieren. Wobei das Schlimmste war, herauszufinden dass diese Liebe nur einseitig war. Sie hatte sich in ihm getäuscht. Er wollte keine Beziehung mit ihr. Und dass er verheiratet war, war lange Zeit für ihn eine gute Ausrede. War alles nur gelogen? Konnte sie sich wirklich so getäuscht haben?
Die Treffen am See, die Nähe die sie gespürt hat, die Wärme die er ausgestrahlt hat, die Blicke die er ihr zuwarf. Die Anrufe spät nachts, um ihre Stimme zu hören. Dass er ein Jahr gewartet hat, bevor er mit ihr geschlafen hat. Wenn er das von Anfang an wollte, wieso hat er dann so lange damit gewartet? Die Gespräche beim Essen. Die Dinge die er ihr über sein Leben erzählt hat. Dinge die er ihr nicht hätte erzählen müssen, wenn er nur mit ihr hätte schlafen wollen.
Sie verstand es einfach nicht. Sie drehte und wendete jede Begegnung, jedes Treffen, jeden Blick. Doch sie kam zu keinem Ergebnis. Außer dem, dass er sie wirklich mochte. Doch wenn das so war, wieso war sie dann auf einmal „keine Wahl“ mehr? Wieso würde das dann mit ihnen nix werden, selbst wenn er seine Frau verlassen sollte? Wieso hatte er ihr bloß das wichtigste genommen. HOFFNUNG! Er hatte ihr die Hoffnung genommen und jetzt hatte sie nichts mehr.
Da rief er wieder mal an. Immer wieder meldete er sich bei ihr, er wollte eine Freundschaft. Ha! Wieso wollte er eine Freundschaft? Wieso verschwand er nicht einfach aus ihrem Leben. Überließ sie ihrer Trauer und ihrer Verzweiflung und ging einfach? Die kleine Seele war an einem Punkt angelangt, wo sie nichts mehr zu verlieren hatte. Also hob sie ab. „Wie geht es dir?“ wollte er wissen. „Wie soll es mir schon gehen? Mies natürlich.“ „Kann ich irgend etwas tun um dir zu helfen?“ Die kleine Seele wollte ihn schon auslachen, da kam ihr eine Idee. „Ja, du kannst mir sagen wieso du zwar eine Freundschaft mit mir willst, aber eine Beziehung mit mir so gar nicht in Frage kommt.“
Er wand sich, er konnte ihr keine Antwort geben. Können oder wollen? Sie wußte es nicht, doch es war egal. Sie hatten eine halbe Stunde telefoniert und dabei hat er was gesagt, wo ihr ein ganzer Kronleuchter aufgegangen war. Er hatte das Haus so weit weg gebaut, weil er nicht jeden Tag nach Hause fahren wollte. Er wollte nicht jeden Abend mit seiner Frau verbringen. Er wollte sein Leben alleine verbringen und nur fallweise die Nähe zu anderen Menschen genießen. Und sie, die kleine Seele, hatte ihm gesagt, dass sie gern eine echte Beziehung mit ihm hätte, mit zusammen ziehen, so dass man sich jeden Tag sehen könnte. Und sie hatte ihm auch gesagt, dass er jetzt eine Entscheidung treffen mußte, ganz oder gar nicht. Entweder eine Beziehung oder gar nix.
Mal angenommen, er hat Angst vor zuviel Nähe. Also richtige Bindungsangst. Jetzt hat er eine Frau, die sich damit zufrieden gibt, wenn er am Wochenende für 2 Tage nach Hause kommt. Aber sie, die kleine Seele, will ihm nahe sein. Mit ihm das Leben teilen. Und zwar nicht nur am Wochenende. Klar, dass sie dann keine Wahl war für ihn. Er wußte wie nahe sie ihm kommen konnte. Mit einem einzigen Blick sah sie in seine Seele und das machte ihm Angst. ER HAT ANGST!
Diese Erkenntnis kam überraschend. Sie hatte nichts falsch gemacht! Sie war gut genug! Er hatte Gefühle für sie! Aber er hat Angst! Und jetzt? Das wars. Er war nicht bereit für eine richtige Beziehung, sie wollte sich nicht mit weniger zufrieden geben. Sie wollte ihn aber auch nicht ändern. Wenn er nicht bereit war, richtige Nähe, Wärme und Liebe zuzulassen war das sein Problem. Und wenn er nicht bereit war für sie, dann hatte sie offensichtlich was Besseres verdient!
Er war ihr Typ auf dem Stein. Und sie mußte jetzt alleine weiter gehen.
© Libellchen, 2011
hallo libellchen
ich bin vor ein paar tagen zufällig auf diese seite gestossen und hab seither jeden tag mit immer größerer spannung und auch mit“gefühl“ gelesen.
du beschreibst situationen, die wir alle oder zumindest sehr viele von uns kennen…..ich finde mich in deiner geschichte wieder.
deine erkenntnis hat mir geholfen: nicht wir „verlassene“ sind die verlierer – sondern die typen, die sich nicht auf gefühle einlassen. das ist das kreuz, dass SIE tragen müssen.
wir haben etwas besseres verdient und werden es auch bekommen 🙂
Liebe Ulli!
Ja, dass ist ihr Problem und das können sie auch gerne behalten. Ich warte jetzt auch auf einen der sich voll und ganz auf eine Beziehung mit mir einlassen kann und will 😉
In diesem Sinne möge uns bald einer über den Weg laufen!